Gesammelte Werke
ich, weil sie die
Möglichkeit
boten, mich zu verraten. Schließlich fand ich bei der Lektüre einer französischen Abhandlung den Bericht einer fast tödlichen Erkrankung einer Frau Pilau, hervorgerufen durch Gase einer zufällig vergifteten Kerze. Das reizte meine Phantasie sofort. Ich wusste, mein Opfer hatte die Gewohnheit, im Bett zu lesen. Ich wusste auch, dass sein Zimmer klein und schlecht ventiliert war. Doch was soll ich euch mit abgeschmackten Einzelheiten behelligen, weshalb die Kunstgriffe schildern, durch die es mir gelang, in seinen Schlafzimmerleuchter statt der dort vorhandenen eine von mir selbst hergestellte Wachskerze einzuschmuggeln. Am andern Morgen fand man ihn tot im Bett, und das Urteil des Leichenbeschauers lautete – »eines plötzlichen Todes gestorben«.
Ich erbte sein Vermögen, und jahrelang ging alles gut mit mir. Der Gedanke einer Entdeckung meiner Tat kam mir gar nicht in den Kopf. Die Überbleibsel der verhängnisvollen Kerze hatte ich sorgfältig vernichtet. Nicht den Schatten einer Spur hatte ich zurückgelassen, durch die man mich des Verbrechens hätte überführen oder auch nur verdächtigen können. Es ist gar nicht wiederzugeben, welch ein Gefühl der Befriedigung in mir erwachte, wenn ich an meine vollkommene Sicherheit dachte. Lange, lange Zeit hing ich diesem Gefühl nach. Es brachte mir mehr Genuss als alle die realen Vorteile, die meine Sünde mir eingetragen. Doch es kam eine Zeit, da das angenehme Gefühl gradweise und kaum wahrnehmbar zu einem mich verfolgenden und quälenden Gedanken wurde. Er quälte, weil er verfolgte. Ich konnte ihn kaum für Augenblicke loswerden. Es ist eine ganz bekannte Sache, dass irgendein Gassenhauer oder ein paar unbedeutende Takte aus einer Oper uns solcherart quälend in den Ohren klingen oder vielmehr im Gedächtnis haften bleiben; auch wird es uns nicht weniger quälen, wenn das Lied ein gutes oder die Oper eine verdienstvolle ist. Auf solche Weise also hing ich dem Gedanken an meine Sicherheit nach, ertappte mich fortwährend dabei, dass ich die Worte murmelte: »Ich bin sicher.«
Eines Tages, als ich durch die Straßen schlenderte und halblaut diese gewohnten Worte sprach, verbesserte ich sie in einem Anfall von Mutwillen so: »Ich bin sicher – ich bin sicher – ja, solange ich nicht so dumm bin, ein offenes Bekenntnis abzulegen!«
Kaum hatte ich dies gesagt, als Eiseskälte mir zum Herzen kroch. Ich hatte einige Erfahrung in solchen Anfällen der »Verkehrtheit« (deren Natur zu schildern mir viel Mühe gemacht hat), und ich entsann mich gut, dass es mir niemals gelungen war, ihren Angriffen zu widerstehen; und nun trat mir meine eigene zufällige Eingebung, dass ich möglicherweise dumm genug sein könne, den Mord, dessen ich mich schuldig gemacht, zu bekennen, gegenüber wie das leibhaftige Gespenst des Ermordeten – und lockte mich in Tod und Verderben.
Zuerst machte ich eine Anstrengung, diesen Alp von der Seele abzuschütteln. Ich schritt schneller und schneller aus, schließlich rannte ich. Ich fühlte ein wahnsinniges Verlangen, laut aufzuschreien. Jede neue Gedankenwelle überflutete mich mit Schrecken, denn ach! ich wusste gut, nur zu gut, dass ich verloren war, wenn ich
nachdachte
. Ich beschleunigte meinen Schritt noch mehr. Ich durchraste wie ein Toller die menschenvollen Straßen. Schließlich wurden die Leute stutzig und verfolgten mich.
Nun
fühlte ich, dass sich mein Schicksal erfüllte. Hätte ich vermocht, mir die Zunge auszureißen – ich hätte es getan – doch eine raue Stimme schallte mir ins Ohr – ein rauerer Griff packte mich an den Schultern. Ich drehte mich um – ich rang nach Atem. Einen Augenblick litt ich alle Qualen des Erstickenden; ich war blind und taub und mir schwindelte; und dann schien es mir, als schlage mich irgendein unsichtbarer Dämon mit harter Faust in den Rücken. Das lang zurückgehaltene Geheimnis brach los aus meiner Seele.
Man sagt, dass ich mich klar und sicher ausdrückte, doch mit großem Nachdruck und leidenschaftlicher Hast, als fürchte ich eine Unterbrechung, ehe ich die kurzen, doch inhaltsschweren Sätze beendet, die mich dem Henker und der Hölle überlieferten.
Nachdem ich alles berichtet, was zur vollen gerichtlichen Überführung notwendig war, schlug ich ohnmächtig zu Boden.
Doch was soll ich mehr sagen? Heute trage ich diese Ketten und bin
hier
! Morgen bin ich der Fesseln ledig! – Aber wo?
Das System des Dr. Teer und Prof. Feder
Im Herbst des
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