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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Allan Poe
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die Haltung eines völlig Gesunden und Vernünftigen verleiht. Die Kühle der Nachtluft hatte indessen ihre Wirkung nicht verfehlt, die erkünstelte Geistesstärke gab ihrem Einfluss nach, und eine verworrene Vorstellung von der Gefährlichkeit unserer Lage beschleunigte die Katastrophe. Er lag jetzt gänzlich bewusstlos, und es war nicht anzunehmen, dass er in den nächsten Stunden die Herrschaft über seine Sinne wiedergewinnen würde.
    Es ist kaum möglich, zu schildern, wie tief ich erschrak. Die Dünste des Weins waren jetzt verraucht; ich war doppelt furchtsam und unfähig, einen Entschluss zu fassen. Ich wusste, dass ich keine Ahnung hatte, wie man ein Boot steuert, und dass ein wütender Wind und die rückflutende Ebbe uns ins Verderben jagten. Hinter uns drohte das Wetter; wir besaßen keinen Kompass, keine Nahrungsmittel, und es war gewiss, dass wir bei unserem jetzigen Kurs das Land vor der ersten Morgenhelle aus den Augen verloren haben würden. Diese Gedanken nebst einem Heer anderer, die nicht minder entsetzlich waren, rasten mit betäubender Geschwindigkeit durch meinen Kopf, und einige Augenblicke lang blieb ich zu sehr gelähmt, um irgendeine Anstrengung machen zu können. Das Boot flog mit furchtbarer Schnelle durch das Wasser hin, rollte vor dem Wind, ohne dass ein Segel gerefft war; der Bug verschwand vollständig unter dem Schaum der Wellen. Ein Gotteswunder, dass es nicht umschlug; Augustus hatte ja das Steuer losgelassen, und ich war zu aufgeregt, um selbst danach zu fassen. Glücklicherweise jedoch hielt es den Kurs ein, und nach und nach gewann ich einen Teil meiner Geistesgegenwart zurück. Der Wind war noch immer am Anschwellen, und sooft wir uns vom Vorwärtstauchen erhoben, fegte die See von rückwärts über Deck und überflutete uns mit Wasser. Auch war mir ein jedes Glied so benommen, dass ich fast gar keine Empfindung mehr hatte. Endlich stürzte ich mit dem Mut der Verzweiflung nach dem Großsegel und versuchte, es zu reffen. Wie zu erwarten, sauste es über den Bug, tränkte sich schwer voll Wasser und riss dadurch den Mast kurzweg über Bord. Dieser Zufall allein rettete mich vor augenblicklichem Untergang. Nur unterm Stagsegel fahrend, schoss ich vor dem Wind hin, musste mächtige Sturzseen aushalten, war aber von unmittelbarer Todesgefahr befreit.
    Ich saß am Steuer und atmete mit größerer Leichtigkeit, da ich sah, dass uns noch eine Hoffnung auf Rettung blieb. Augustus lag noch bewusstlos auf dem Boden des Schiffes; und da ihm die Gefahr des Ertrinkens drohte (das Wasser stand an der Stelle fast einen Fuß hoch), brachte ich es zuwege, ihn teilweise aufzurichten und im Sitzen zu erhalten, indem ich ihn mit einem Tau umwand und an einem Ring auf dem Halbdeck festmachte. Nachdem ich so alles, meinem elenden Zustand zum Trotz, aufs Beste eingerichtet hatte, empfahl ich mich Gott und war entschlossen, alles, was mir auch geschehen möge, mit dem ganzen Mannesmut, über den ich gebot, zu ertragen.
    Kaum hatte ich diesen Entschluss gewonnen, als plötzlich ein lautes und langes Schreien oder Heulen, das aus den Kehlen von tausend Teufeln zu kommen schien, die ganze Atmosphäre rings um das Boot und über ihm zu erfüllen begann. Nie in meinem Leben werde ich die bohrende Qual des Entsetzens vergessen, das ich in diesem Augenblick empfand. Das Haar stand mir zu Berge, ich fühlte, wie das Blut in meinen Adern erstarrte, mein Herz hörte ganz und gar auf zu schlagen, und ohne ein einziges Mal meine Augen zu erheben, die Ursache meines Bangens kennenzulernen, purzelte ich kopfüber und ohne Bewusstsein auf den Körper meines Freundes.
    Als ich ins Leben zurückkehrte, fand ich mich in der Kajüte eines großen Walfischfängers (des »Penguin«), der nach Nantucket segelte. Mehrere Menschen beugten sich über mich, und Augustus, bleicher als der Tod, war eifrig bestrebt, mir die Hände zu wärmen. Als ich die Augen öffnete, riefen die Äußerungen seines Dankes, seiner Freude abwechselnd Lachen und Weinen bei den Anwesenden hervor. Das Geheimnis unserer Rettung war bald enthüllt. Der Walfänger hatte uns überrannt; er lavierte mit so viel Segeln, als er zu setzen wagte, auf Nantucket zu, sein Kurs stand somit in rechtem Winkel mit unserm. Mehrere Leute lugten vorn aus, aber sie bemerkten unsere Schaluppe erst, als es schon zu spät war, den Zusammenstoß zu vermeiden; ihre Warnungsrufe hatten mich in jene fürchterliche Angst getrieben. Das gewaltige Schiff übersegelte uns, so

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