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Gesang der Daemmerung

Gesang der Daemmerung

Titel: Gesang der Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan MacFadden
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Zorn emporblasen. Mit höhnischem Gelächter erreichte er die Spitze der steilen Klippen, rang dort mutig mit zwei Windfrauen – alten aufgeblasenen Vetteln, die schweren Gewitterwolken ähnelten – und entkam in kühnem Sturzflug hinab in die dunkle Tiefe der Schlucht. Über ihm zeterten und winselten die enttäuschten Luftgeister, schickten ihm ewige Verwünschungen nach und drohten, seinen Schattenleib beim nächsten Mal in tausend Fetzen zu reißen.
    Er lachte über ihr Geschrei, während er immer tiefer in den düsteren Spalt hinabsank. Als er jedoch nach einer Weile die kühle Nähe des Palastes spürte, verließ die Heiterkeit ihn. Wächter hielten seinen Flug auf, fingen ihn ab, fragten nach seinem Namen und dem Zweck seines Besuches.
    »Darion. Zurück von einem Auftrag des Herrn. Ich komme, um Meldung zu machen.«
    Die Wächter gehörten nicht zu seinen Kameraden, so viel war sicher, obgleich er auch die Krieger, mit denen er ausgebildet worden war, immer mehr aus den Augen verlor. Diese Männer hier waren jünger als er, doch sie blieben gesichtslos. Niemals wusste er, ob es immer die gleichen oder jedes Mal andere waren, die den Dienst als Wächter versahen. Mehr als ihre dunkle Silhouette war nicht zu erkennen, denn sie materialisierten sich niemals.
    »Du bist spät dran. Gorian hat schon nach dir gefragt.«
    Die Bemerkung verblüffte ihn. War dieser Auftrag denn von solcher Wichtigkeit, dass der Herr der Nachtschatten mit Ungeduld auf seinen Bericht wartete? Nichts davon war in Gorians Miene zu lesen gewesen, als er ihn letzte Nacht nach London ausschickte. Er hatte seinen Befehl wie immer mit unbeweglichen Zügen und kühlem Gleichmut erteilt, eine reine Pflichtübung, die an seiner Stelle auch ein anderer Krieger hätte übernehmen können. Überhaupt hatte Darion bisher noch nie das Gefühl gehabt, von seinem Herrn geschätzt oder gar bevorzugt zu werden – ganz im Gegenteil.
    Der Palast lag in vollkommener Finsternis, die düstere Pracht in seinem Inneren war nur für die Augen eines Nachtschattens erkennbar. Darion kannte bei Weitem nicht alle Gemächer des verwinkelten Baus, der sich über mehrere Etagen hinweg über den Grund der Schlucht erstreckte. Er wusste nur, dass die Räume sich um den hohen Thronsaal gruppierten. Dort, inmitten von Wänden aus blankem Onyx, fanden mehrmals im Jahr beeindruckende Zeremonien statt, außerdem wurde dort Gericht gehalten und der Toten gedacht.
    Auch dieses Mal gelang es dem Wächter, Darion zu verwirren, denn schon nach kurzer Zeit hätte er nicht mehr sagen können, in welche Richtung sie sich bewegten. Entweder empfing Gorian ihn jedes Mal in einem anderen Gemach, oder man führte ihn auf immer neuen Wegen in den gleichen Raum. Es war schwer zu entscheiden, da die Felswände keinen Aufschluss darüber gaben und Mobiliar – so wie die Menschen es liebten – nicht vorhanden war.
    Gorian, der Herr der Nachtschatten, befand sich in der Mitte des Felsgemachs, noch war er ein Teil der Dunkelheit und nur für seinesgleichen als schwarzer Schemen zu erkennen. Als man Darion jedoch hereinführte, begann die Schwärze sich zusammenzuziehen, und die hohe Gestalt des Herrschers hob sich von der umgebenden Finsternis ab. Er war als Krieger gekleidet, trug den Dolch im Gürtel, und der lange Mantel aus dunklem Samt hing von seinen Schultern bis auf den Boden herab. Sein Gesicht war schmal, und obgleich Darion seinen Herrn nicht zum ersten Mal erblickte, fielen ihm heute doch die beiden tiefen Kerben rechts und links des Mundes auf. Die Nachtschatten hatten zwar ein längeres Leben als die Menschen, doch auch sie waren sterblich. Darion hatte die Mitte seiner Lebenszeit ganz sicher längst überschritten.
    »Du kommst spät! War es so schwierig, meinen Auftrag auszuführen?«
    Darion verneigte sich tief, wie es einem Krieger vor dem Herrscher geziemte, und bat um Vergebung. Er wäre nur deshalb säumig, weil er seine Aufgabe besonders gut hätte ausführen wollen.
    Gorian hörte seinem Bericht schweigend zu, nur als sein Späher von zwei weiteren Lichtelben berichtete, die er sozusagen per Zufall entdeckt hatte, hob der Herrscher kurz seine schwarzen Augenbrauen.
    »Wie nachlässig wir sind!«, murmelte er unzufrieden. »Ein Elbenpaar lebt unbehelligt zwischen den Menschen und setzt neue Elbenwesen in die Welt!«
    »Sie sind beide schon alt und werden wohl keine Kinder mehr haben«, wandte Darion vorsichtig ein.
    Der Herrscher schien ihn nicht gehört zu haben, auf

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