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Gesang der Rosen

Gesang der Rosen

Titel: Gesang der Rosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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sie. Nach Grab. Nach Tod.
    Und Marcabrun stand auf ihnen.
    Sechs Lieder eines Troubadours.
    Marcabrun!
    Er – André Tornerre.
    Marcabrun!
    Gefälscht!
    André Tornerre … Tornerre … Tornerre …
    Der Junge schloß die Augen. Er zitterte. Doch kaum hatte er die Augen geschlossen, so daß Dunkel ihn umgab, wehten die schweren Schatten wieder durch seine Seele und erstickten lautlos den ins Herz gebrochenen hellen Strahl des nagenden Gewissens.
    Umgestimmt nahm André wieder die Hand aus seinem Mund und griff zur Rolle. Mit einem Ruck erhob er sich, trat aus der dämmrigen Laube und blickte blinzelnd in die glühende Sonne.
    »Es muß sein«, sagte er. »Es geht nicht um André Tornerre, es geht um Geist und Menschenwürde. Es geht um Wahrheit.«
    Er lächelte! »Um eine Wahrheit, die der Lüge bedürftig ist, um lebendig zu werden.«
    Heiß brannte die Sonne auf ihn hernieder. Die Pflanzen dorrten, das Gras wurde wachsend schon zu Heu, die Erde schrie nach Regen.
    Weit dehnte André die Arme aus und reckte seine Brust der Sonne entgegen. Es war, als trinke er zum letztenmal Licht, ehe er einging in die kalte Nacht erwählter Einsamkeit.
    Schwarz glänzten seine Locken, ekstatisch leuchtete sein Gesichtsausdruck.
    Ein neuer Ikarus, der sich nach Sonne sehnte, ehe er brennend in das Dunkel hinabstürzte.
    André Tornerre – der Fälscher, das Genie, das Kind.
    Beschwingten Schrittes ging er durch den Garten. Raschelnd schloß sich hinter ihm die Hecke.
    Und aus den Händen Gottes fiel der Würfel in die Nacht …
    *
    Kaum vierzehn Tage nach der Unterredung Andrés mit Julien Bonnet auf dem Hügel trat an einem sonnigen Morgen der Küsterjunge in die Schankstube des Mehrfachunternehmers Tergnier, sah sich kurz im frischgescheuerten Raum um, grüßte Madame Tergnier hinter der Theke und trat dann auf den Literarhistoriker zu, der in seine Zeitung versunken war und deshalb den Eintretenden noch nicht bemerkt hatte. In der Hand hielt André eine eng zusammengedrehte Rolle dicker und vergilbter, zum Teil scheinbar schon angefaulter Papiere, die er mit einem einfachen roten Schleifenband zusammengebunden hatte. Sein Gesicht war ruhig und klar, fast ein wenig siegesbewußt, als er an den kleinen Tisch trat und mit der Rolle auf die Platte klopfte, als poche er um Einlaß in die Gedanken des Lesenden.
    »Guten Morgen, Herr Professor«, sagte er dabei mit seiner hellen, angenehm klingenden Stimme, die ein jedes Wort zu einer Melodie wandeln und im Auf- und Abschwingen eines ganzen Satzes den Eindruck einer melodramatischen Deklamation hervorrufen konnte. Und als zu sehen war, wie der Professor leicht erschrak, wie er zusammenfuhr, weil er auf die Störung unvorbereitet gewesen war, lachte André leise und warf den lockigen Kopf in den Nacken.
    »Ich komme mein Versprechen einlösen«, fuhr André lächelnd fort. »Ich hoffe, es hat Ihnen nicht zu lange gedauert. Nun bin ich da.«
    Bonnet warf einen gierigen Blick auf Andrés Rolle, zeigte auf sie und rief: »Sind das die Originale?«
    André nickte.
    »Wie viele?« stieß der Professor hervor.
    »Sechs im ganzen.«
    »Von wem?«
    »Von Marcabrun.«
    »Alle?«
    »Ja.«
    Bonnets Hand schnellte vor, um die Rolle zu ergreifen. Er hatte den Blick nicht von ihr losreißen können. André war flinker. Er zog die Rolle rasch an sich.
    »Wir haben einen Vertrag abgeschlossen, Herr Professor, wenn auch nur einen mündlichen …«
    »Ja, ja, ich stehe dazu. Sie kriegen Ihr Geld. Aber sind Sie nicht auch der Meinung, daß ich mir erst das anschauen darf, was ich kaufe?«
    Bonnets Hand war immer noch ausgestreckt. Er zitterte vor Ungeduld, während André die Schleife des Bandes um die Rolle aufzog, die Pergamente vorsichtig ausbreitete und sie – mit einer Hand am oberen Rand, mit der anderen am unteren – dem Professor unter die Nase hielt. Der erste Eindruck war überwältigend, der zweite nicht schwächer. Julien Bonnet konnte nur unartikulierte Laute hervorstoßen.
    Dann ließ André ihn näher heran. Seine Hände an den ausgebreiteten Bögen räumten ihre Plätze denen des Professors, für den nun alles um ihn herum versank; er wurde eins mit den von einem genialen Fälscher präparierten Pergamenten. Die Gegenwart schwand, Jahrhunderte lösten sich auf, ließen in ihr dreizehntes zurückfallen einen seligen Blinden. Marcabrun lebte wieder.
    »Zufrieden?« fragte nach langen Minuten André.
    Bonnet hörte ihn nicht.
    Erst ein zweiter Anlauf Andrés hatte Erfolg.
    »Zufrieden,

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