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Gesang der Rosen

Gesang der Rosen

Titel: Gesang der Rosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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gereinigten Tisch hatte er seine alten Pergamente ausgebreitet, auf sie ein Schulheft gelegt, und mit strengster Genauigkeit und von ihm selbst nicht erwarteter Fertigkeit schrieb er die alten Buchstaben aus des Abbés Originalen ab, übte die Initialen, die Bögen, Winkel und Striche, die Doppellinien und Schwünge, er übte das Schriftbild, die Zeileneinteilung der Seite, er übte das Rankenwerk der Verzierungen und Blumen, zog jeden Schnörkel, jeden Bogen, jedes Blatt der Ranke nach, übte und übte, bis seine Hand es gewöhnt war, mit einem malerischen Schwung die alten Zeichen zu gestalten.
    Zehn Tage lang saß er in der Laube und schrieb die Wörter in sein Schulheft. Am elften Tag begann er, Farben und Tinte zu mischen, goldene und silberne Bronce zu rühren, die er sich von seinem geringen Taschengeld beim Krämer gekauft hatte; er mischte, bis der Ton der Tinte dem der alten Schriften ähnlich war, und übte dann mit einem zugespitzten Gänsekiel wieder unentwegt die Zeichen, Bilder und Verzierungen.
    Ein Rausch hatte ihn erfaßt. Die letzte Scheu vor seiner Tat war in der Gruft beim Kerzenschein verflogen. Der starre Wille, die Tat eines getretenen Genies zu vollbringen, erstickte jede anerzogene und seelische Moral. Mit einer Ausdauer, die dem Fanatismus entsprang, trainierte er unermüdlich seine Hand, zwang er sie zur Fälschung, und triumphierender Glanz umspielte seinen Blick, wenn er bemerkte, daß sein Werk dem Originale glich.
    Am zwölften Tage, als die Sonne dörrend über die Natur kam und die Menschen auf den Feldern stöhnten, bedeckte er mit gewandter Schrift das erste leere Pergament mit seinem Reiterlied, bestreute es mit feinem, gelbem Sand, blies diesen zur Erde und legte dann den Bogen neben die Pergamente des Abbé Bayons.
    Ein unbändiger Stolz stieg in dem Jungen auf. Zum Verwechseln ähnlich lagen die Papiere nebeneinander, lediglich frische Farben zeigte die Fälschung. Die Schrift jedoch, die Zeichnung und das Bild des ganzen Pergaments atmeten die hohe Kunst vergessener Troubadoure.
    Mit einem Jauchzer warf sich André über die Papiere und lag so, den Kopf fest auf sein Werk gedrückt, als bete er. Dann richtete er sich wieder auf und schrieb fast flüssig schon aufs nächste Pergament den Text, den er verewigen wollte, und unter seiner Feder blühte alle Sehnsucht auf … die Sonne … Ritter, die im Burghof von der Liebsten sangen … Turniere, Fahnen, Hörner, blitzende Geschmeide … verliebtes Flüstern … mondbleiche Gärten … ein Roß, das leise unter Bäumen wieherte, und Stimmen, die im hohen Grase flüsterten … o herrliche, glückliche Provence …
    Zwei Tage später war das Werk vollendet. Vor seiner Laube legte André die Papiere in die Sonne und ließ die Tinte bleichen. Dann rollte er die Pergamente, grub sie in ein Beet ein, begoß die Erde eimerweise mit Wasser und grub die Papiere am anderen Morgen wieder aus, ließ sie flüchtig trocknen und band eine einfache, rote Schnur um die Rolle.
    Leichter Modergeruch stieg von den schmutzigen Papieren auf – das Pergament war in sich feucht, verfault fast … ausgegraben aus dem Sarg der Jahrhunderte.
    Mit einem tiefen Seufzer setzte sich André auf seine Laubenbank und legte die Rolle vor sich auf den Tisch.
    Noch bestand die Möglichkeit, die Tat nicht auszuführen und vor der Größe des Verbrechens zurückzuschrecken. Noch war er nicht herunter vom Lebensweg eines kleinen Küsterjungen, der einmal die Nachfolge seines Vaters an der Orgel und am Glockenseil antreten sollte. Noch lockten ihn die Hügel und der Mägde Feldgesang, die Liebe – und Jeanette, die herrliche Jeanette …
    Jeanette?
    André zuckte zusammen. Tat er denn nicht alles, um ihr zu zeigen, daß er mehr war als ein Träumer? Nur ihr? Nein, das Ziel lag sogar noch viel höher, war herrlicher, maßloser im Flug der Gedanken. Sollten die Menschen nicht an ihm, an seinem Beispiel, seinem Opfer gesunden? Die Maske wollte er von den Gesichtern … o André, André – du Phantast!
    Der Junge fühlte, wie ein Würgen ihm in die Kehle stieg. Er spürte einen Ekel vor sich selbst, eine Schalheit, einen Widerwillen dagegen, Sinnloses als einen Sinn geliebt zu haben. Er sah es plötzlich, dieses Unrecht, diese Untat, dieses gräßliche – Verbrechen.
    »Nein«, stöhnte er, lehnte sich zurück, zuckte mit der Hand zum Mund und biß sich in das eigene Fleisch. Mit starren Augen blickte er entsetzt auf die zusammengerollten Pergamente.
    Nach Moder rochen

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