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Gesang der Rosen

Gesang der Rosen

Titel: Gesang der Rosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Büschelgras von Carpentras sehnst du dich zurück. Du kannst im Norden unter Tannen wandeln und träumst doch von der Hitze in unseren Weinbergen. Sieh, André, das ist das, was du nicht verstanden hast, weil du die Welt im Traum sahst. Darum auch ließ ich dich gehen. Es hätte keinen Zweck gehabt, dich halten zu wollen. Du mußtest selbst deine Erfahrungen sammeln, mußtest lernen, dich dem Gesetz unseres Blutes zu beugen: der Sehnsucht nach der Sonne über der Provence.«
    »Ich wollte in Paris bleiben … zuerst, als ich ankam«, sagte André leise und lehnte den Kopf an des Vaters Schulter, wie er es als Kind immer getan hatte, wenn er des Abends auf dem Schoß des Vaters hatte sitzen dürfen. »Sie ist so schön, diese Lichterstadt Paris. Aber die Menschen, Vater, und das Schicksal … Es müßte alles anders sein im Leben. Es müßte viel weniger Menschen geben … und dann nur solche, die einander lieben und nicht hassen, beneiden, betrügen, bespitzeln, verraten, verleugnen, belügen und verachten. Ja, auch verachten! Diese Verachtung des Menschen ist schlimm, Vater, sie führt zum Wahnsinn, zum Zusammenbruch, zum Haß, zur Verzweiflung, zur Gottlosigkeit; und was das Ärgste ist, Vater …« André klammerte sich am Vater fest und drückte sein Gesicht an dessen Schulter. »Die Verachtung hat nicht einmal unrecht!«
    »Ich will nicht fragen, was du gesehen und erlebt hast, um so zu sprechen«, sagte Marcel Tornerre und streichelte den zuckenden Kopf seines Jungen. »Daß du es sahst, machte dich auf jeden Fall reifer, und daß du zurückkehrtest in die Heimat, zeigt, daß du dich und die Welt überwunden hast. Du magst es noch nicht so sehen, aber du bist reicher geworden, André, denn das Leben ist keine Illusion mehr für dich und kein Mysterium. Es ist ein nüchternes Rechenexempel mit vielen Unbekannten. Man braucht einen klaren Kopf, um es zu lösen. Wenn du einen solchen klaren Kopf gewonnen hast, so hast du das Wertvollste mit heimgebracht von deiner Wanderung und wirst die Zukunft sehen können wie ein Läufer, der genau weiß, daß dort in der Ferne einmal das ersehnte Ziel kommt.« Er richtete den Kopf des Jungen auf, strich ihm das Haar aus der Stirn und nickte lächelnd. »Und nun, mein Junge, blicke frei auf zu unserem Himmel der Provence. Du bist zu Hause, in der Heimat, bist bei uns – damit ist alles gut. Du sollst keinen traurigen Eindruck machen, wenn die Mutter dich sieht. Du sollst als starker Junge aus der Fremde wiederkehren. Die Mutter – wirklich, sie war überraschenderweise tapferer als ich. Sie sprach mir Mut zu, nicht ich ihr, doch des Nachts, wenn sie mich schlafend wähnte, da weinte sie. Auch sie hat ein paar Runzeln mehr, aber wir grämen uns darum nicht, denn es sind ja Siegel, die das Leben verleiht, Bescheinigungen, daß wir unsere Last getragen haben. Und nun komm, mit zur Mutter und lächle … ich habe gestern noch die Bank hinter unserem Haus gestrichen.«
    Hintereinander stiegen sie die schmale Treppe hinunter, der Küster verschloß die Tür der Kirche, und gemeinsam traten sie hinaus in den Sonnenschein, gingen über den blendenden Sand des Marktes, schritten vorbei am Haus des Abbé Bayons und freuten sich über den Schatten der Zypressen, der auf sie fiel, als sie sich dem Küsterhaus näherten.
    Sie waren bis kurz vor den frisch gestrichenen Zaun des Gartens gekommen, als sich die Haustür öffnete und Yvonne Tornerre, weißhaarig und klein, auf die Straße trat, mit einem Besen in der Hand, um die Straße vor den Fenstern zu fegen. Mit einem Schrei ließ sie den Besen fallen, lehnte sich zitternd an die Wand des Hauses und streckte beide Arme nach ihrem Sohn aus, hoffend, daß kein Trugbild sie narrte.
    »André«, stammelte sie, »André …«
    Da schrie der Junge auf, riß die Gartentür auf, stürzte auf die Mutter zu, fiel vor ihr auf die Knie und vergrub das Gesicht in ihrem Kleid, umfing mit beiden Armen den Körper und drückte die weinende, zarte Frau an sich, als wolle er sie in sich hineinpressen.
    »Mutter!« rief er dabei. »Mutter, vergib mir! Liebe, liebe Mutter, vergib mir!«
    Und Yvonne Tornerre nickte und weinte, stammelte Koseworte, die in ihren Tränen erstickten, nickte wieder und schluchzte und stützte sich dann auf den lächelnden Marcel Tornerre, der sich zu den beiden gesellte und dem die Sonne heller schien, die Bäume grüner schimmerten und das Herz weiter war als in seinem ganzen Leben.
    »Wir sind glücklich, wir danken Gott«,

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