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Gesang der Rosen

Gesang der Rosen

Titel: Gesang der Rosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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dick und mit kleinen, glitzernden Schweißperlen auf der hohen Stirn, ließ seine lebhaften Augen über die Menge der Menschen gleiten und drehte dann den klugen Kopf wieder dem Mann im Fenster zu.
    »Halte uns auf dem laufenden, Julien«, sagte er zu ihm. »Du kannst dir vorstellen, wie gespannt wir sind. Am besten mietest du dir ein Zimmer mit Telefonanschluß. Spar nicht am falschen Ende. Die fünftausend Franc haben dich auch nicht gereut.«
    »Warum kommst du nicht selbst mit, Henry? Du warst von allen doch eigentlich der erste, der diese Idee hatte.«
    »Du weißt, daß meine Frau plötzlich erkrankte. Ich kann jetzt nicht weg.«
    »Aber ich kann es, Bonnet«, fiel der zweite Herr auf dem Bahnsteig ein. »Notfalls werde ich deshalb nachkommen, es bedarf nur der Verständigung durch Sie.«
    »Ich danke Ihnen, Rouvière.«
    »Keine Ursache, Bonnet«, sagte der Untersuchungsrichter. »Sollte Madame Saintine rasch wieder gesunden, kommen wir beide nach Carpentras.«
    »Hoffentlich finden wir den Weg«, witzelte der Louvre-Direktor. »Ich konnte das Nest auf der Karte nicht entdecken.«
    Nachdem alle drei gelacht hatten, sagte der Untersuchungsrichter: »Das hat aber auch seine Vorteile.«
    »Was hat seine Vorteile?« fragte Saintine.
    »Daß es ein solches Nest ist.«
    »Und welchen Vorteil soll das haben?«
    »Daß niemand dort ›Le Monde‹ liest, das Intelligenzblatt Frankreichs. Niemand, so kann man hoffen, wird sich also aufgescheucht fühlen.«
    »Gott sei Dank nicht«, meinte Julien Bonnet im Fenster. »Sonst hätte es ja wohl gar keinen Zweck mehr, hinzufahren.«
    Das Gespräch versandete ein bißchen, bis es Rouvière wieder in Schwung brachte mit der Frage: »Was fehlt eigentlich Ihrer Frau, Saintine?«
    »Meistens weiß sie das selbst nicht«, lautete die ironische Antwort. »Aber diesmal handelt es sich eindeutig um Grippe.«
    »Mitten im Sommer?«
    »Sie kennen meine Frau nicht. Die erkältet sich im Sommer, und im Januar hat sie sich schon mal einen Sonnenstich geholt!«
    »Nicht möglich!«
    »Doch, am Äquator auf einer Ferienreise.«
    Wieder ein Dreiergelächter.
    Ein Tabakwarenverkäufer fuhr mit seinem Wägelchen am Zug entlang und rief sein Angebot aus. Ein Zeitungs-, Zeitschriften- und Unterhaltungslektürehändler folgte ihm. Beide kamen mit Bonnet zu einem jeweils kurzen, rasch abgewickelten Geschäft.
    »Meine geschiedene Frau«, sagte der Literarhistoriker dann zu Rouvière und Saintine, »wollte auch immer in die Ferien nach Afrika. Ich hasse Hitze, deshalb ließ ich sie schließlich allein fahren. Dort holte sie sich dann allerdings keinen Sonnenstich, sondern etwas anderes.«
    »Was?« fragte Rouvière.
    »Einen Textilhändler«, erwiderte Bonnet, der anscheinend seinen selbstironischen Tag hatte. »Kurze Zeit später waren wir geschieden.«
    »Wenigstens waren keine Kinder da«, warf Saintine ein, der fälschlicherweise das Gefühl hatte, daß es notwendig sei, Trost zu spenden.
    »Weißt du«, sagte Bonnet seufzend, »einen Sohn hätte ich schon gerne gehabt im Leben.«
    »Sag das nicht«, kam der Trost knüppeldick. »Wie alt wäre der jetzt?«
    Julien Bonnet schien nachzurechnen, zuckte dann die Achseln. »Sechzehn, siebzehn Jahre, würde ich sagen.«
    »Da hast du's! Sechzehn Jahre! Die bringen doch heute alles fertig! Denk an den Burschen in dem Nest Carpentras!«
    Die Schaffner eilten an den Wagen entlang und knallten die Türen zu. Weiß zischte der Qualm der Lokomotive aus den Ventilen. Der Zeiger der großen Uhr unter dem Stahlgerippedach der Bahnhofshalle sprang vor – ein letztes Abschiednehmen, Händeschütteln, Küssen zwischen den Leuten am Zug einerseits und denen in den Eisenbahnabteils andererseits setzte ein.
    »Viel Erfolg!« riefen wie aus einem Munde beide, Rouvière und Saintine, als der Zug anfuhr und fauchend durch die Halle stampfte. Sie liefen noch einige Schritte neben Bonnets Wagen her, bis er ihnen zu schnell wurde.
    Die Menschen hatten Taschentücher in Händen und winkten, wedelten mit den Tüchern in der Luft auf und ab oder schwangen sie wie Fahnen um ihre Köpfe.
    Als die Blickverbindung zwischen den Leuten auf dem Bahnsteig und denen im Zug abriß, schloß Bonnet sein Fenster, setzte sich, lehnte sich zurück in die weichen Polster, zog die Beine an und schlang die Hände um seine Knie. So saß er und blickte hinaus auf die vorüberziehende Landschaft, bis ihn das eintönige Rollen und Stampfen der Räder eindösen ließ.
    Acht Wagen hinter ihm

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