Geschichte der O und Rückkehr nach Roissy
sein. Von nun an - und O dachte: endlich. Daraus entsprang ohne Zweifel die seltsame, mit Schrecken gemischte Sicherheit, in die sie sich gleiten fühlte und die sie geahnt hatte, ohne sie zu begreifen. Von nun an würde es keine Unterbrechung mehr geben, keine tote Zeit, keine Pause. Was man erwartet ist, eben weil man es erwartet, bereits gegenwärtig, bereits herrschend. Sir Stephen war ein anderer Gebieter als René, auf andere Weise fordernd, aber auch auf andere Weise sicher. Und so leidenschaftlich O René liebte und er sie, so herrschte doch zwischen ihnen eine Gleichheit (und wenn es nur die Gleichheit des Lebensalters gewesen wäre) die in ihr das Gefühl aufhob, daß sie ihm gehorchte, das Bewußtsein, daß sie unterworfen wurde. Was er von ihr forderte, das wollte sie selbst sofort, einzig deshalb, weil er es forderte. Den Befehlen Sir Stephens jedoch gehorchte sie, weil es Befehle waren und sie war ihm dankbar, daß er sie ihr gab. Ob er mit ihr französisch oder englisch sprach, sie du oder Sie nannte, O nannte ihn stets nur Sir Stephen, wie eine Fremde, wie eine Bediente. Sie sagte sich, das Wort "Seigneur" hätte besser zu ihm gepaßt, wenn sie gewagt hätte, es auszusprechen, so wie ihr vor ihm das Wort Sklavin angestanden hätte. Sie sagte sich auch, daß das alles ganz in Ordnung sei, denn René war glücklich, in ihr die Sklavin Sir Stephens zu lieben. Nun hatte sie also ihre Kleider auf das Fußende ihres Bettes gelegt, ihre hochhackigen Pantöffelchen angezogen und wartete mit gesenkten Augen vor Sir Stephen, der ans Fenster gelehnt stand. Die strahlende Sonne schien durch die Gardinen aus Erbsenmousseline, sie war schon sehr heiß und wärmte ihr die Füße. O versuchte nicht, eine bestimmte Stellung einzunehmen, aber sie dachte geschwind, daß sie sich stärker hätte parfümieren sollen, daß sie die Spitzen ihrer Brüste nicht geschminkt hatte und daß sie froh war, ihre Pantöffelchen anzuhaben, weil der Lack an ihren Zehen abblätterte. Dann kam ihr plötzlich zum Bewußtsein, daß sie eigentlich erwartete, Sir Stephen werde ihr in die Stille hinein bedeuten, sie solle vor ihn niederknien, seine Kleidung öffnen und ihn mit dem Mund berühren. Aber nein. Daß sie allein daran gedacht hatte, trieb ihr die Röte ins Gesicht und noch während sie errötete, schalt sie sich töricht, weil sie es tat: soviel Schamgefühl bei einer Dirne! In diesem Augenblick bat Sir Stephen O, sich vor ihren Frisiertisch zu setzen und ihm zuzuhören. Der Frisiertisch war nicht eigentlich ein Frisiertisch, sondern ein großer Drehspiegel im Stil der Restaurationszeit neben einer niedrigen Wandkonsole, auf der Bürsten und Flakons Platz fanden. Wenn O auf dem kleinen Polstersessel saß, konnte sie sich ganz sehen. Während er sprach, ging Sir Stephen hinter ihr auf und ab; sein Bild erschien und verschwand im Spiegel, hinter Os Bild, doch es war ein Bild, das fern wirkte, weil der Belag des Spiegels grünlich war, und leicht getrübt. O, die mit geöffneten Händen und gespreizten Knien dasaß, hätte das Bild packen und anhalten mögen, um sich das Antworten zu erleichtern. Denn Sir Stephen stellte in präzisem Englisch Fragen über Fragen, die letzten, die O aus seinem Munde erwartet hätte, sofern sie überhaupt welche erwartete. Er hatte noch kaum damit begonnen, als er sich unterbrach, um O in ihrem Sessel zurückzukippen und sie zugleich weiter nach vorn zu ziehen; nun bot sie sich, das linke Bein über der Sessellehne und das rechte leicht angewinkelt, im vollen Licht im Spiegel ihren eigenen Blicken und den Blicken Sir Stephens dar, so ganz geöffnet, als hätte ein unsichtbarer Geliebter sich aus ihr zurückgezogen und sie so verlassen. Sir Stephen fragte weiter mit der Festigkeit eines Richters, der Geschicklichkeit eines Beichtvaters. O sah ihn nicht sprechen, sah sich aber antworten. Ob sie, seit ihrer Rückkehr aus Roissy, anderen Männern als René und ihm angehört habe? Nein. Ob sie den Wunsch gehabt habe, anderen, die sie getroffen hatte, anzugehören? Nein. Ob sie sich bei Nacht, wenn sie allein sei, selbst berühre? Nein. Ob sie Freundinnen habe, die sie berühre und von denen sie sich berühren lasse? Nein (das nein kam zögernder). Aber Freundinnen, die sie begehrte? Nun ja, Jacqueline, nur sei Freundin zu viel gesagt. Kollegin würde richtiger sein, oder vielleicht Gefährtin, wie die höheren Töchter in den feinen Pensionaten einander bezeichnen. Darauf fragte Sir Stephen, ob sie Photos
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