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Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Trotzki
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in ihrer Person konzentrierten Sowjets werde nunmehr in die offizielle Regierung hinüberströmen. Kerenski versicherte Buchanan kategorisch, "die Sowjets werden eines natürlichen Todes sterben". Diese Hoffnung wurde bald zur offiziellen Doktrin der Versöhnler. Ihr Gedanke war, das Schwergewicht des Lebens müsse sich überall von den Sowjets zu den neuen demokratischen Selbstverwaltungsorganen verschieben. Den Platz des Zentralexekutivkomitees sollte die Konstituierende Versammlung einnehmen. Die Koalitionsregierung schickte sich somit an, die Brücke zum Regime der bürgerlich parlamentarischen Republik zu bilden.
    Die Revolution aber wollte und konnte diesen Weg nicht gehen. Das Schicksal der neuen Stadtdumas war in diesem Sinne eine unzweideutige Voraussage. Die Dumas waren auf der Basis des weitestgehenden Wahlrechtes entstanden. Soldaten hatten gleiches Wahlrecht wie Zivilbevölkerung, Frauen wie Männer. Am Kampfe nahmen vier Parteien teil. Die Nowoje Wremja (Neue Zeit), das alte offizielle Organ der zaristischen Regierung, eine der ehrlosesten Zeitungen der Welt - und das will was besagen! -, forderte die Rechten, Nationalisten, Oktobristen auf, für die Kadetten zu stimmen. Als aber die politische Ohnmacht der besitzenden Klassen klar zutage trat, stellte die Mehrzahl der bürgerlichen Zeitungen die Losung auf: "Wählt, wen ihr wollt, nur keine Bolschewiki!" In allen Dumas und Semstwos bildeten die Kadetten den rechten Flügel, die Bolschewiki die wachsende linke Minderheit. Die Mehrheit, in der Regel eine überwiegende, gehörte den Sozialrevolutionären und Menschewiki.
    Es könnte scheinen, die neuen Dumas, die sich von den Sowjets durch größere Vollständigkeit der Vertretung unterschieden, hätten die größere Autorität genießen müssen. Als öffentlich-rechtliche Institutionen besaßen die Dumas außerdem den gewaltigen Vorteil offizieller staatlicher Unterstützung. Miliz, Verpflegung, städtischer Transport, Volksbildung unterstanden offiziell den Dumas. Die Sowjets besaßen als "Privat"-Institutionen weder Budget noch Rechte. Und trotzdem blieb die Macht in den Händen der Sowjets. Die Dumas waren im wesentlichen nur Munizipalkommissionen der Sowjets. Der Wettstreit zwischen Sowjetsystem und formaler Demokratie war m seinem Endergebnis um so verblüffender, als er sich unter Leitung der gleichen Parteien, Sowjetrevolutionären und Menschewiki, vollzog, die, in Dumas wie Sowjets vorherrschend, tief davon überzeugt waren, daß die Sowjets den Dumas Platz zu machen hätten, und in dieser Richtung zu tun suchten, was sie nur konnten.
    Die Erklärung für diese bemerkenswerte Erscheinung, über die man im Strudel der Ereignisse im allgemeinen wenig nachdachte, ist einfach: Munizipalitäten, wie jegliche Einrichtungen der Demokratie überhaupt, können ihre Tätigkeit nur auf der Grundlage stabiler gesellschaftlicher Beziehungen, das heißt eines bestimmten Eigentumssystems ausüben. Das Wesen der Revolution besteht aber darin, daß sie eben diese Grundlage aller Grundlagen in Frage stellt, die zu beantworten lediglich die offene revolutionäre Nachprüfung des Verhältnisses der Klassenkräfte imstande ist. Die Sowjets waren, entgegen der Politik ihrer Leiter, Kampforganisationen der unterdrückten Klassen, die sich teils bewußt, teils halbbewußt zusammenschlossen, um die Grundlagen der Gesellschaftsordnung zu ändern. Die Munizipalitäten dagegen gaben allen Bevölkerungsklassen, auf die Abstraktion Bürger gebracht, gleichmäßige Vertretung und ähnelten unter den Bedingungen der Revolution sehr einer diplomatischen Konferenz, die sich in konventioneller, heuchlerischer Sprache zu verständigen sucht, indes die in ihr vertretenen feindlichen Lager sich fieberhaft auf den Kampf vorbereiten. Im Alltagstrott der Revolution konnten die Munizipalitäten noch ihr Scheindasein fristen. Jedoch an Wendepunkten, wo das Eingreifen der Massen die weitere Richtung der Ereignisse bestimmte, mußten die Munizipalitäten auffliegen und ihre Bestandteile auf verschiedenen Seiten der Barrikade stehen. Es genügte, die parallelen Rollen der Sowjets und Munizipalitäten in der Zeit von Mai bis Oktober gegenüberzustellen, um das Schicksal der Konstituierenden Versammlung beizeiten vorauszusehen.
    Mit der Einberufung der Konstituierenden Versammlung übereilte sich die Koalitionsregierung nicht. Die Liberalen, die, entgegen der demokratischen Arithmetik, in der Regierung in der Mehrzahl waren, hatten es gar

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