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Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Trotzki
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eingetroffene Vandervelde legten unterdes die Hände nicht in den Schoß: eifrigst waren sie damit beschäftigt, dem "Wohl der Völker" eine den Bedürfnissen der Entente angepaßte Deutung zu gehen und die Einfaltspinsel aus dem Exekutivkomitee erfolgreich zu bearbeiten. "Skobeljew und Tschernow", meldete Vandervelde, "protestierten energisch gegen jeden Gedanken an einen vorzeitigen [prématurée] Frieden." Es ist nicht verwunderlich, wenn Ribot, auf solche Helfershelfer gestützt, schon am 9. Mai dem französischen Parlament erklären konnte, er beabsichtige, "ohne auf irgend etwas zu verzichten", Tereschtschenko eine befriedigende Antwort zu erteilen.
    Ja, die wahren Herren der Lage hatten nicht die Absicht, auf irgend etwas zu verzichten, was man erwischen konnte. Gerade in jenen Tagen hatte Italien die Unabhängigkeit Albaniens proklamiert und - es sogleich unter italienisches Protektorat gestellt. Das war kein schlechter Anschauungsunterricht. Die Provisorische Regierung plante einen Protest, weniger im Namen der Demokratie, als wegen des verletzten "Gleichgewichts" auf dem Balkan, doch zwang ihre Ohnmacht sie rechtzeitig, sich auf die Zunge zu beißen.
    Neu an der Außenpolitik der Koalition war nur die hastige Annäherung an Amerika. Diese frische Freundschaft bot drei nicht unwichtige Bequemlichkeiten: die Vereinigten Staaten waren weniger durch militärische Niederträchtigkeiten kompromittiert als Frankreich und England; die transatlantische Republik eröffnete vor Rußland weite Perspektiven in bezug auf Anleihen und militärische Ausrüstung; endlich kam Wilsons Diplomatie - eine Mischung von demokratischer Bigotterie und Gaunerei - den stilistischen Bedürfnissen der Provisorischen Regierung sehr gelegen. Wilson schickte die Mission des Senators Root nach Rußland und richtete eine seiner Pastorbotschaften an die Provisorische Regierung, wobei er erklärte: "Es darf kein Volk gewaltsam einer Herrschaft unterworfen werden, unter der es nicht leben will." Das Kriegsziel selbst bezeichnete der amerikanische Präsident zwar nicht sehr bestimmt, aber verlockend: "Der Welt dauerhaften Frieden und den Völkern künftigen Wohlstand und Glück zu sichern." Was konnte es Besseres geben? Gerade das hatten Tereschtschenko und Zeretelli nötig: frische Kredite und pazifistische Gemeinplätze. Mit Hilfe der er-steren und unter dem Schleier der anderen konnte man an die Vorbereitung der Offensive gehen, die der Shylock an der Seine, wie besessen mit allen seinen Wechseln fuchtelnd, forderte.
    Schon am 11. Mai reiste Kerenski an die Front ab und begann die Agitationskampagne für die Offensive. "Die Welle des Enthusiasmus in der Armee wächst und verbreitert sich", berichtete der neue Kriegsminister der Provisorischen Regierung, sich vor Enthusiasmus über die eigenen Reden verschluckend. Am 14. Mai erläßt Kerenski einen Armeebefehl: "Ihr werdet gehen, wohin eure Führer euch leiten werden", und um diese dem Soldaten gut bekannte und wenig verlockende Perspektive auszuschmücken, fügt er hinzu: "Ihr werdet auf den Spitzen eurer Bajonette den Frieden tragen." Am 22. Mai wurde der vorsichtige, übrigens reichlich unbegabte General Alexejew seiner Eigenschaft als Oberkommandierender enthoben und durch den elastischeren und unternehmungslustigeren General Brussilow ersetzt. Die Demokraten bereiteten mit aller Kraft die Offensive, das heißt die große Katastrophe der Februarrevolution vor.
    Der Sowjet war das Organ der Arbeiter und Soldaten, das heißt Bauern. Die Provisorische Regierung war das Organ der Bourgeoisie. Die Kontaktkommission war das Organ der Versöhnung. Die Koalition vereinfachte die Mechanik, indem sie die Provisorische Regierung selbst in eine Kontaktkommission verwandelte. Die Doppelherrschaft war damit aber keinesfalls beseitigt. Ob Zeretelli Mitglied der Kontaktkommission oder Postminister war - nicht diese Frage entschied. Im Lande existierten zwei nicht zu vereinbarende Staatsorganisationen: die Hierarchie der von oben herab ernannten alten und neuen Beamten, gekrönt durch die Provisorische Regierung, und das System der gewählten Sowjets, die bis zur fernsten Kompanie an der Front hinabreichten. Diese zwei Regierungssysteme stützten sich auf verschiedene Klassen, die sich erst anschickten, ihre historische Rechnung zu regeln. Indem sie auf die Koalition eingingen, wähnten die Versöhnler, das Rätesystem allmählich friedlich abschaffen zu können. Sie waren davon überzeugt, die Macht der

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