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Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Trotzki
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hatten. Das bezieht sich nicht nur auf allgemein demokratische Institutionen, wie Stadtduma und Semstwo, oder später die Konstituierende Versammlung, sondern auch auf Klassenorgane, wie die Sowjets der Arbeiterdeputierten. Die überwältigende Mehrzahl der Arbeiter, Menschewiki, Sozialrevolutionäre und Parteilosen unterstützte die Bolschewiki im Augenblick des unmittelbaren Zusammenpralls mit dem Zarismus. Jedoch begriff nur eine kleine Minderheit der Arbeiter, worin sich die Bolschewiki von den anderen sozialistischen Parteien unterschieden. Gleichzeitig aber zogen alle Arbeiter eine scharfe Trennungslinie zwischen sich und der Bourgeoisie. Das entschied die politische Situation nach dem Siege. Die Arbeiter wählten Sozialisten, das heißt solche, die nicht nur gegen die Monarchie, sondern auch gegen die Bourgeoisie waren. Sie machten dabei fast keinen Unterschied zwischen den drei sozialistischen Parteien. Da aber die Menschewiki und die Sozialrevolutionäre über unvergleichlich größere Intellektuellen-Kader verfügten, die ihnen von allen Seiten zuströmten und eine riesige Reserve von Agitatoren stellten, ergaben die Wahlen, sogar in Fabriken und Betrieben, ein großes Übergewicht der Menschewiki und Sozialrevolutionäre.
    In der gleichen Richtung, nur mit noch unermeßlich größerer Kraft, ging der Druck der erwachten Armee. Am fünften Tage des Aufstands schloß die Petrograder Garnison sich den Arbeitern an. Nach dem Siege sollte sie berufen sein, die Sowjets zu wählen. Vertrauensvoll gaben die Soldaten ihre Stimmen jenen, die für die Revolution und gegen die monarchistischen Offiziere waren und dies laut auszusprechen vermochten: das waren Einjährig-Freiwillige, Schreiber, Feldscher, junge Kriegsoffiziere aus Intellektuellenkreisen, kleine Militärbeamte, das heißt die untere Schicht des gleichen "neuen Mittelstandes’’. Seit dem März waren sie fast sämtlich in die Partei der Sozialrevolutionäre eingetreten, die durch ihre geistige Formlosigkeit der zwischenstuflichen sozialen Lage dieser Elemente und ihrer politischen Beschränktheit am besten entsprach. Die Vertretung der Garnison war folglich unvergleichlich gemäßigter und bürgerlicher als die Soldatenmasse selbst. Die aber erkannte diesen Unterschied nicht; er mußte sich erst aus der Erfahrung der nächsten Monate ergeben. Die Arbeiter wiederum wollten sich den Soldaten so eng wie möglich anschließen, um das blutig erkaufte Bündnis zu festigen und die Revolution sicherer zu bewaffnen. Da nun im Namen der Armee vorwiegend neugebackene Sozialrevolutionäre sprachen, mußte das die Autorität dieser Partei und die ihrer Verbündeten, der Menschewiki, in den Augen der Arbeiter steigern. So entstand in den Sowjets die Vorherrschaft dieser zwei versöhnlerischen Parteien. Es genügt, darauf zu verweisen, daß in der ersten Zeit sogar im Sowjet des Wyborger Bezirks die führende Rolle men-schewistischen Arbeitern gehörte. Der Bolschewismus brodelte in jener Periode erst tief im Schoße der Revolution. Die offiziellen Bolschewiki aber bildeten damals sogar im Petrograder Sowjet eine verschwindende Minderheit, die sich außerdem über ihre Aufgaben nicht sehr im klaren war.
    So entstand das Paradoxon der Februarrevolution: die Macht in Händen demokratischer Sozialisten. Sie hatten sie keinesfalls zufällig, durch einen blanquistischen Anschlag erobert; nein, sie war ihnen von den siegreichen Volksmassen öffentlich übertragen worden. Diese Massen verweigern der Bourgeoisie nicht nur Vertrauen und Unterstützung, sondern unterscheiden sie auch von Adel und Bürokratie. Ihre Waffen stellen sie ausschließlich den Sowjets zur Verfügung. Indessen bildet die einzige Sorge der so leicht an die Spitze der Sowjets gelangten Sozialisten die Frage: wird die politisch isolierte, den Massen verhaßte, der Revolution durch und durch kindliche Bourgeoisie bereit sein, aus unseren Händen die Macht zu übernehmen? Ihre Zustimmung muß um jeden Preis gewonnen werden; da aber die Bourgeoisie offensichtlich nicht auf ihr bürgerliches Programm verzichten kann, so müssen wir "Sozialisten" auf unser Programm verzichten und über Monarchie, Krieg, Land und Boden schweigen damit die Bourgeoisie nur ja das Geschenk der Macht annimmt. Während die "Sozialisten" diese Operation vornehmen, fahren sie, wie zum Hohn über sich selbst, fort, die Bourgeoisie nicht anders denn als Klassenfeind zu bezeichnen. In den Ritualformen des Gottesdienstes wird auf diese

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