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Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Trotzki
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um so mehr, je vollständiger sie sich in ihren Händen konzentrierte.
    Aber weshalb denn? Weshalb fürchteten sich Demokraten, "Sozialisten", die sich unmittelbar auf Menschenmassen stützten, wie sie keine Demokratie in der Geschichte gekannt hat, und zwar Massen mit bedeutender Erfahrung, diszipliniert und bewaffnet, in Sowjets organisiert, - weshalb fürchtete diese allmächtige, wie es scheinen sollte, unverwüstliche Demokratie die Macht zu übernehmen? Dieses auf den ersten Blick knifflige Rätsel ist so zu lösen, daß die Demokratie ihrer eigenen Stütze nicht vertraute, sich vor den Massen fürchtete, die Dauerhaftigkeit deren Vertrauens bezweifelte und hauptsächlich Angst vor "Anarchie" hatte, das heißt davor, daß sie nach Übernahme der Macht zugleich mit dieser Macht ein Spielball der sogenannten entfesselten Elemente werden könnte. Mit anderen Worten, die Demokratie fühlte sich im Augenblick des revolutionären Aufstiegs nicht berufen, Führerin des Volkes zu sein, sondern nur linker Flügel der bürgerlichen Ordnung, deren zu den Massen ausgestreckter Fühler. Sozialistisch nannte sie sich und hielt sich sogar dafür, um nicht nur vor den Massen, sondern auch vor sich selbst ihre tatsächliche Rolle zu verschleiern: ohne diese Selbsttäuschung wäre sie nicht in der Lage gewesen, diese Rolle auszuführen. So löst sich das grundlegende Paradoxon der Februarrevolution.
    Am Abend des 1. März kamen die Vertreter des Exekutivkomitees, Tschcheidse, Steklow, Suchanow und andere, zur Sitzung des Dumakomitees, um die Bedingungen zu besprechen für die Unterstützung der neuen Regierung durch die Sowjets. Das Programm der Demokraten ignorierte die Fragen des Krieges, der Republik, des Land und Bodens, des 8-Stunden-Tags völlig und lief nur auf eine einzige Forderung hinaus: den linken Parteien Agitationsfreiheit zu gewähren. Ein Beispiel der Selbstlosigkeit für Völker und Jahrhunderte: Sozialisten, in deren Händen die gesamte Macht war und von denen es abhing, den anderen Agitationsfreiheit zu gewähren oder nicht, traten ihre Macht an die "Klassenfeinde" ab unter der Bedingung, daß diese ihnen Agitationsfreiheit zusicherten. Rodsjanko fürchtete sich, zum Telegraphenamt zu gehen und sprach zu Tschcheidse und Suchanow: "Ihr habt die Macht, ihr könnt uns alle verhaften." Tschcheidse und Suchanow antworteten ihm: "Nehmt die Macht, aber verhaftet uns nur nicht wegen Propaganda." Studiert man die Verhandlungen der Versöhnler mit den Liberalen und all die Episoden aus den gegenseitigen Beziehungen des linken und des rechten Flügels des Taurischen Palais in jenen Tagen, so scheint einem, als benutze eine Gruppe Provinzschauspieler auf einer gewaltigen Bühne, auf der ein historisches Volksdrama spielt, ein freies Eckchen und eine kleine Pause, um ein banales Vaudeville mit Verkleidungen zu geben.
    Die Führer der Bourgeoisie waren, man muß ihnen Gerechtigkeit widerfahren lassen, auf derartiges nicht gefaßt gewesen. Sie hätten die Revolution wohl weniger gefürchtet, wenn sie mit einer solchen Politik ihrer Führer gerechnet hätten. Sie würden sich allerdings auch in diesem Falle verrechnet haben, doch dann gemeinsam mit jenen. Aus der Befürchtung heraus, die Bourgeoisie könnte auch unter den angebotenen Bedingungen die Macht ablehnen, stellt Suchanow das bedrohliche Ultimatum: "Die entfesselten Elemente können nur wir bändigen, niemand sonst ... Es gibt nur einen Ausweg: unsere Bedingungen annehmen." Mit anderen Worten: akzeptiert das Programm, das ja euer Programm ist; wir aber versprechen euch dafür, die Massen, die uns die Macht anvertraut haben, zu bändigen. Arme Bändiger der Naturgewalten!
    Miljukow war erstaunt. "Er dachte nicht daran", schreibt Suchanow, "seine Genugtuung und seine angenehme Überraschung zu verbergen." Als aber die Sowjetdelegierten, um ihren Worten noch mehr Nachdruck zu verleihen, hinzufügten, ihre Bedingungen seien "endgültig", wurde Miljukow sentimental und machte ihnen mit dem Satz Mut: "Ja, ich hörte ihnen zu und dachte darüber nach, wie weit unsere Arbeiterbewegung seit dem Jahre 1905 vorwärtsgeschritten ist ... " In diesem Tone eines gutmütigen Krokodils unterhielt sich die Hohenzollernsche Diplomatie in Brest-Litowsk mit den Delegierten der Ukrainer Rada, deren staatsmännischer Reife die nötige Anerkennung zollend, bevor sie sie verschluckte. Daß die Bourgeoisie die Sowjetdemokratie nicht verschluckt hat, ist weder Suchanows Verdienst noch

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