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Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Trotzki
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herantretend, verkündete er: "Der Entschluß ist gefaßt, wir übernehmen die Macht" ... "Ich fragte nicht, wer ist das - wir", schreibt begeistert Suchanow, "ich fragte nichts mehr. Doch fühlte ich sozusagen mit meinem ganzen Wesen die neue Lage. Ich fühlte, wie das Schiff der Revolution, durch die Willkür der Naturgewalten in dieser Stunde von den Böen hin und her geworfen, seine Segel hochrichtete und Widerstandsfähigkeit und Gesetzmäßigkeit inmitten des furchtbaren Sturmes und Schwankens wiedergewann." Welch geschraubte Form für das prosaische Bekenntnis sklavischer Abhängigkeit der kleinbürgerlichen Demokratie vom kapitalistischen Liberalismus! Und welch mörderisches Verkennen der politischen Perspektive: die Übergabe der Macht an die Liberalen wird dem Staatsschiff nicht nur keine Widerstandsfähigkeit verleihen, sondern, im Gegenteil, sie wird von Stund an die Quelle der Herrschaftslosigkeit der Revolution, des größten Chaos, der Erbitterung der Massen, des Zusammenbruchs der Front und späterhin der äußersten Erbitterung des Bürgerkrieges.
    Blickt man zurück auf vergangene Jahrhunderte, erscheint einem die Tatsache der Machtübernahme durch die Bourgeoisie hinlänglich gesetzmäßig: in allen früheren Revolutionen kämpften auf den Barrikaden Arbeiter, Handwerksgehilfen, zum Teil auch Studenten, Soldaten gingen zu ihnen über, die Macht aber nahm dann die solide Bourgeoisie an sich, die, unter Wahrung aller Vorsicht, den Barrikadenkampf von den Fenstern aus verfolgt hatte. Die Februarrevolution von 1917 jedoch unterscheidet sich von allen früheren Revolutionen durch einen unvergleichlich höheren sozialen Charakter und hohes politisches Niveau der revolutionären Klasse, durch das feindselige Mißtrauen der Aufständischen gegen die liberale Bourgeoisie, demzufolge im Augenblick des Sieges ein neues revolutionäres Machtorgan erstand: der Sowjet, der sich auf die bewaffnete Gewalt der Massen stützte. Unter diesen Umständen verlangt der Übergang der Macht in die Hände der politisch isolierten und unbewaffneten Bourgeoisie eine Erklärung.
    Vor allem muß man das Kräfteverhältnis näher besehen, das sich als Ergebnis des Umsturzes herausgebildet hatte. Vielleicht war die Sowjetdemokratie kraft der objektiven Umstände gezwungen, zugunsten der Großbourgeoisie auf die Macht zu verzichten? Die Bourgeoisie selbst war nicht dieser Ansicht. Wir wissen bereits, daß sie von der Revolution nicht nur die Macht nicht erwartet hatte, sondern im Gegenteil in ihr eine tödliche Gefahr für die eigene soziale Lage voraussah. Die gemäßigteren Parteien haben die Revolution nicht nur nicht gewollt", schrieb Rodsjanko, "sie haben sich vor ihr einfach gefürchtet. Insbesondere war die Partei der Volksfreiheit ("Kadetten"), die auf dem linken Flügel der gemäßigten Gruppen stand und die meisten Berührungspunkte mit den revolutionären Parteien des Landes hatte, durch die heranrückende Katastrophe mehr als alle anderen beunruhigt." Die Erfahrung von 1905 sagte den Liberalen eindringlich genug, daß der Sieg der Arbeiter und Bauern sich für die Bourgeoisie nicht weniger gefahrvoll gestalten kann als für die Monarchie. Man sollte meinen, der Gang des Februaraufstandes hätte diese Voraussicht nur bekräftigen können. So ungeformt in vieler Hinsicht die politischen Ideen der revolutionären Massen in jenen Tagen auch sein mochten, so war doch die Trennungslinie zwischen den Werktätigen und der Bourgeoisie unversöhnlich gezogen.
    Der den liberalen Kreisen nahestehende Privatdozent Stankewitsch, kein Feind, sondern ein Freund des progressiven Blocks, charakterisiert in folgenden Zügen die Stimmung der liberalen Kreise am zweiten Tage nach dem Umsturz, den zu verhindern sie nicht vermocht hatten: "Offiziell feierte und rühmte man die Revolution, schrie den Freiheitskämpfern "Hurra" zu, schmückte sich mit roten Bändern und marschierte unter roten Fahnen ... Aber im Innern, in Gesprächen untereinander, war man entsetzt, erschüttert, fühlte man sich gekettet an ein feindliches Element, das irgendeinen unbekannten Weg ging. Unvergeßlich bleibt die Figur Rodsjankos, dieses massigen und vornehmen Herrn, als er unter Wahrung seiner erhabenen Würde, aber mit dem erstarrten Ausdruck tiefen Leidens und der Verzweiflung auf dem blassen Gesicht, in den Korridoren des Taurischen Palais durch die Haufen ausgelassener Soldaten schritt. Offiziell hieß es: "die Soldaten sind gekommen, die Duma in ihrem

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