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Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Trotzki
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Weise ein Akt herausfordernder Gotteslästerung begangen. Der bis ans Ende geführte Klassenkampf ist ein
    Kampf um die Staatsmacht. Die wesentliche Eigenschaft einer Revolution besteht darin, den Klassenkampf bis zu Ende zu führen. Die Revolution ist eben der unmittelbare Kampf um die Macht. Unsere "Sozialisten" aber sind nicht darum besorgt, die Macht dem sogenannten Klassenfeind zu entreißen, der sie nicht besitzt und sie aus eigener Kraft nicht erobern kann - sondern darum, ihm die Macht um jeden Preis auszuhändigen. Ist das etwa kein Paradoxon? Es erschien um so verblüffender, als die Erfahrung der deutschen Revolution von 1918 damals noch nicht existierte und die Menschheit noch nicht Zeuge der gewaltigen und unvergleichlich erfolgreicheren Operation der gleichen Art gewesen war, die der "neue Mittelstand", der die deutsche Sozialdemokratie führt, vollbrachte.
    Wie erklärten die Versöhnler ihr Verhalten? Das eine Argument war doktrinärer Art: da die Revolution eine bürgerliche ist, dürfen sich die Sozialisten durch die Machtergreifung nicht kompromittieren - mag die Bourgeoisie für sich selbst einstehen. Das klang sehr unversöhnlich. In Wirklichkeit maskierte das Kleinbürgertum mit seiner angeblichen Unversöhnlichkeit nur seine Kriecherei vor Reichtum, Bildung, Geltung. Das Recht der Großbourgeoisie auf die Macht betrachteten die Kleinbürger als deren Urrecht, unabhängig vom Kräfteverhältnis. Dem lag fast die gleiche instinktive Bewegung zugrunde, die einen kleinen Kaufmann oder einen Lehrer zwingt, auf dem Bahnhof oder im Theater ehrerbietig beiseite zu treten, um ... Rothschild vorzulassen. Die doktrinären Argumente dienten nur zur Kompensation des Bewußtseins eigener Minderwertigkeit. Schon nach zwei Monaten, als es sich herausstellte, daß die Bourgeoisie aus eigener Kraft die ihr abgetretene Macht keinesfalls halten würde, schoben die Versöhnler ihre "sozialistischen" Vorurteile beiseite und traten in ein Koalitionsministerium ein. Nicht, um die Bourgeoisie von dort zu verdrängen, sondern im Gegenteil, um sie zu retten. Und nicht gegen deren Willen, sondern auf deren Antrag, der wie ein Befehl klang: die Bourgeoisie drohte den Demokraten, im Falle einer Weigerung ihnen die Macht an den Kopf zu werfen.
    Das zweite Argument für die Ablehnung der Macht hatte einen praktischeren Anschein, ohne im wesentlichen viel ernster zu sein. Der uns bereits bekannte Suchanow berief sich in erster Linie auf das "Zerstäubtsein" der russischen Demokratie: "In den Händen der Demokratie befanden sich damals keine einigermaßen festen und einflußreichen Organisationen - weder Partei-, noch Gewerkschafts-, noch Selbstverwaltungsorgane." Das klingt wie Hohn! Die Sowjets der Arbeiter- und Soldatendeputierten erwähnt mit keinem Wort der Sozialist, der im Namen der Sowjets auftrat. Indes entstanden die Sowjets dank der Tradition von 1905 wie aus der Erde gestampft und waren sofort unvergleichlich mächtiger als alle anderen Organisationen, die später versuchten, mit ihnen zu rivalisieren (Munizipalitäten, Kooperative, teils auch Gewerkschaften). Was die Bauernschaft betrifft, eine ihrer Natur nach zersplitterte Klasse, so war sie gerade infolge des Krieges und der Revolution mehr denn je organisiert: der Krieg versammelte die Bauern in der Armee, und die Revolution verlieh der Armee einen politischen Charakter! Nicht weniger als 8 Millionen Bauern waren in Kompanien und Schwadronen vereinigt, die sofort ihre revolutionären Vertretungen geschaffen hatten und durch cfe-ren Vermittlung jeden Moment auf einen telephonischen Anruf hin auf die Beine gebracht werden konnten. Ähnelt das einem "Zerstäubtsein"?
    Man könnte allerdings einwenden, daß der Demokratie im Augenblick der Entscheidung der Machtfrage die Haltung der Armee an der Front noch unbekannt gewesen sei. Wir wollen nicht die Frage berühren, ob auch der geringste Grund für die Befürchtung (oder Hoffnung) bestand, die durch den Krieg erschöpften Frontsoldaten könnten bereit sein, die Bourgeoisie zu unterstützen. Die Tatsache genügt, daß diese Frage in den nächsten zwei bis drei Tagen gelöst wurde, also in der Zeit, die die Versöhnler hinter den Kulissen mit der Vorbereitung einer bürgerlichen Regierung verbrachten. "Der Umsturz war am 3. März glücklich vollzogen", gesteht Suchanow. Trotzdem sich die ganze Armee den Sowjets angeschlossen hatte, stießen ihre Führer die Macht mit aller Kraft von sich: sie fürchteten diese Macht

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