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Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Trotzki
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ersten Reden fühlten wir alte Leninisten alle, daß er unser ist." Allein schon die für Trotzki bei der Wahl zum Zentralkomitee abgegebene Stimmenzahl zeigte, daß niemand im bolschewistischen Lager zur Zeit seines Eintritts in die Partei in ihm einen Fremdling erblickte. Unsichtbar dem Parteitag beiwohnend, trug Lenin in dessen Arbeiten den Geist der Verantwortlichkeit und Kühnheit hinein. Der Schöpfer und Erzieher der Partei duldete in Theorie wie Politik keine Schlamperei. Er wußte, daß eine falsche ökonomische Formel oder unaufmerksame politische Beobachtung sich im Moment der Aktion bitter rächt. Sein nörgelnd-aufmerksames Verhalten gegenüber jeglichem Parteitext, selbst einem nebensächlichen, verteidigend, pflegte Lenin zu sagen: "Das sind keine Lappalien, man braucht Exaktheit: Unser Agitator wird es auswendig lernen und vom Text nicht abweichen ... Wir haben eine gute Partei", fügte er hinzu, indem er gerade dieses ernsthafte, anspruchsvolle Verhalten des einfachen Agitators zu dem, was er zu sagen und wie er es zu sagen hat, meinte.
    Die Kühnheit der bolschewistischen Losungen rief nicht selten den Eindruck von Phantasterei hervor: so waren Lenins Aprilthesen aufgenommen worden. In Wirklichkeit ist in einer revolutionären Epoche das Phantastischste die Knickrigkeit; dagegen ist Realismus undenkbar außerhalb einer Politik auf ferne Sicht. Es genügt nicht zu sagen, dem Bolschewismus war Phantasterei fremd: Lenins Partei war die einzige Partei des politischen Realismus in der Revolution.
    Im Juni und Anfang Juli sagten die bolschewistischen Arbeiter wiederholt, sie seien nicht selten gezwungen, den Massen gegenüber die Rolle einer Feuerlöschspritze zu spielen, und zwar nicht immer mit Erfolg. Der Juli brachte zusammen mit der Niederlage die teuer erkaufte Erfahrung. Die Massen begannen aufmerksamer die Warnungen der Partei zu beachten und deren taktische Erwägung zu erfassen. Der Juliparteitag hatte bestätigt: "Das Proletariat darf auf die Provokation der Bourgeoisie nicht hineinfallen, der es sehr erwünscht wäre, es in diesem Augenblick zu einem vorzeitigen Kampf herauszufordern." Der ganze August, besonders seine zweite Hälfte, ist von ständigen Warnungen seitens der Partei an die Adresse der Arbeiter und Soldaten gefärbt: nicht auf die Straße gehen. Die bolschewistischen Führer scherzten selbst nicht selten über die Ähnlichkeit ihrer Warnungen mit dem politischen Leitmotiv der alten deutschen Sozialdemokratie, die die Massen von jeglichem ernsten Kampfe zurückhielt, indem sie unablässig auf Provokationsgefahr und Notwendigkeit der Kräftesammlung hinwies. Tatsächlich war die Ähnlichkeit nur scheinbar. Die Bolschewiki wußten sehr wohl, daß die Kräfte im Kampfe gesammelt werden und nicht im passiven Ausweichen vor ihm. Das Studium der Wirklichkeit betrachtete Lenin als nur theoretische Auskundschaftung im Interesse der Aktion. Bei der Bewertung der Situation sah er stets in deren Mittelpunkt die Partei als aktive Kraft. Mit besonderer Feindseligkeit, richtiger, mit Ekel stand er zum Austro-Marxismus (Otto Bauer, Hilferding und so weiter), für den die theoretische Analyse nur einen gelehrten Kommentar der Passivität bedeutet. Vorsicht ist Bremse und nicht Motor. Auf einer Bremse hat noch niemand Reisen gemacht, wie auf der Vorsicht niemand etwas Großes geschaffen. Doch gleichzeitig wußten die Bolschewiki genau, daß Kampf Kräfteberechnung erfordert; daß man vorsichtig sein muß, um das Recht zu haben, kühn zu sein.
    Die Resolution des VI. Parteitags, die vor verfrühten Zusammenstößen warnte, wies im gleichen Atem darauf hin, daß man den Kampf werde annehmen müssen, "sobald die nationale Krise und der tiefgehende Aufschwung der Massen günstige Bedingungen geschaffen haben werden für den Übergang der Armut in Stadt und Land auf die Seite der A r beiter". Bei dem Tempo der Revolution ging es nicht um Jahrzehnte, auch nicht um Jahre, sondern um wenige Monat. Während er die Aufklärung der Massen über die Notwendigkeit, sich für den bewaffneten Aufstand vorzubereiten, auf die Tagesordnung setzte, beschloß der Parteitag gleichzeitig, die Zentrallosung der vorangegangenen Periode: Übergang der Macht an die Sowjets, zurückzustellen. Das eine war mit dem anderen verbunden. Den Parolenwechsel hatte Lenin durch seine Artikel, Briefe und persönliche Gespräche vorbereitet.
    Der Übergang der Macht an die Sowjets bedeutete unmittelbar den Übergang der Macht an die

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