Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution
zurückkehren und alles gutmachen. Vor der Auffahrt hielt ein Panzerwagen. Soldaten des Litowsker und des Kexholmer Regiments und Matrosen der Gardeequipage betraten das Gebäude, stellten sich die Treppe entlang auf und besetzten den ersten Saal. Der Führer der Abteilung forderte die Versammelten auf unverzüglich das Palais zu verlassen. "Der Eindruck war niederschmetternd", bestätigt Nabokow. Die Mitglieder des Vorparlaments beschlossen. auseinanderzugehen und "vorübergehend ihre Tätigkeit zu unterbrechen". Dagegen stimmen achtundvierzig Rechte: sie wissen im voraus, daß sie in der Minderheit bleiben werden. Die Deputierten steigen friedlich die prunkvolle Treppe zwischen zwei Gewehrspalieren hinab. Augenzeugen berichten: "Nichts Dramatisches war an der ganzen Sache." - "Gewöhnliche, ausdruckslose, stumpfe, boshafte Physiognomien", schreibt der liberale Patriot Nabokow über die russischen Soldaten und Matrosen. Unten am Ausgang prüften Wachen die Legitimation und ließen alle hinaus.
"Man erwartete eine Sortierung der Mitglieder und manche Verhaftungen", schreibt der unter anderen herausgelassene Miljukow, "aber der revolutionäre Stab hatte andere Sorgen." Nicht nur das: der revolutionäre Stab hatte wenig Erfahrung. Der Auftrag des Komitees lautete: "Eventuelle Regierungsmitglieder sind zu verhaften." Aber es waren keine da. Die Mitglieder des Vorparlaments wurden unbehindert entlassen, darunter auch jene, die bald Organisatoren des Bürgerkrieges werden sollten.
Der parlamentarische Blendling, der sein Dasein um zwölf Stunden früher aushauchte als die Provisorische Regierung, hatte achtzehn Lebenstage hinter sich: Das ist die Frist zwischen Auszug der Bolschewiki aus dem Mariinski-Palais auf die Straße und Eindringen der bewaffneten Straße in das Mariinski-Palais. Unter allen Parodien auf eine Regierung, an denen die Geschichte so reich ist, war "der Rat der russischen Republik" wohl die lächerlichste.
Nachdem er das unglückselige Gebäude verlassen hatte, begab sich der Oktobrist Schidlowski in die Stadt, um die Kämpfe zu beobachten: diese Herren glaubten, das Volk würde sieh zu ihrer Verteidigung erheben. Kämpfe waren jedoch nicht zu entdecken. Dagegen lachte, nach Schidlowskis Worten, das gesamte Publikum in den Straßen - die auserwählte Menge des Newski-Prospektes. "Haben Sie gehört: die Bolschewiki haben die Macht ergriffen? Das ist doch nicht länger als für drei Tage! Ha ha ha." Schidlowski beschloß, in der Hauptstadt zu bleiben "für die Frist, die die öffentliche Meinung der bolschewistischen Herrschaft zubilligte". Die drei Tage haben sich bekanntlich stark in die Länge gezogen.
Zu lachen hat das Publikum des Newski übrigens erst gegen Abend begonnen. Am Morgen war die Stimmung derart besorgt gewesen, daß in den Stadtvierteln der Bourgeoisie sich nur wenige entschlossen, auf die Straße zu gehen. Gegen 9 Uhr lief der Journalist Knischnik auf den Kamenoostrowski-Prospekt nach Zeitungen, aber Zeitungsverkäufer waren nicht da. In einem kleinen Haufen Bürger erzählte man sich, in der Nacht hätten die Bolschewiki Telephon, Telegraph und Bank besetzt. Eine Soldatenpatrouille hörte zu und ersuchte das Publikum, keinen Lärm zu machen. "Aber auch ohnehin waren alle eigentümlich still." Es marschierten bewaffnete Arbeiterabteilungen vorbei. Die Trams verkehrten wie üblich, das heißt langsam. "Die Seltenheit an Passanten bedrückte mich", schreibt Knischnik über seine Eindrücke auf dem Newski. In den Restaurants wurde gespeist, aber vorwiegend in den hinteren Räumen. 12 Uhr mittags krachte die Kanone nicht lauter und nicht leiser als sonst von den Mauern der von den Bolschewiki verläßlich besetzten PeterPaul-Festung. Mauern und Zäune waren mit Aufrufen beklebt, die vor Demonstrationen warnten. Doch andere Aufrufe schoben sich bereits vor, die den Sieg des Aufstandes verkündeten. Man fand noch keine Zeit, sie anzukleben, und warf sie aus Automobilen ab. Die Soeben gedruckten Flugblätter rochen nach frischer Farbe, wie die Ereignisse selbst. Abteilungen der Roten Garde sind aus ihren Bezirken ausmarschiert. Der Arbeiter mit Gewehr, Bajonett über Mütze oder Hut hinausragend, Riemen über Zivilmantel, dieses Bild ist untrennbar vom 25. Oktober. Vorsichtig und noch unsicher brachte der bewaffnete Arbeiter Ordnung in die Hauptstadt, die er sich erobert hatte.
Die Ruhe in den Straßen erfüllte mit Ruhe die Herzen. Die Bürger begannen, sich in den Straßen zu sammeln.
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