Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution
eine Order über Freilassung einer Reihe von Gefangenen laut Liste des Petrograder Sowjets. Vergeblich versuchte die Gefängnisadministration, Anweisungen vom Justizminister zu erhalten: der hatte anderes im Kopf. Die befreiten Bolschewiki, darunter der junge Kronstädter Führer Roschal, erhielten sogleich Kampfaufgaben zugewiesen.
Am Morgen lieferte man im Smolny eine auf dem Nikolajewski Bahnhof von Pionieren angehaltene Gruppe Junker ein, die mit Lastwagen aus dem Winterpalais nach Proviant ausgefahren waren. Podwojski erzählt: "Trotzki erklärte ihnen, sie würden unter der Bedingung entlassen, daß sie das Versprechen geben, nichts mehr gegen die Sowjetmacht zu unternehmen, sie könnten dann zu ihren Beschäftigungen in die Schule zurückkehren. Die Knaben, die ein Blutgericht erwartet hatten, waren darüber unsäglich erstaunt." Inwiefern die sofortige Freilassung richtig war, ist zweifelhaft. Der Sieg war noch nicht abgeschlossen, die Junker stellten die Hauptkraft des Gegners dar. Andererseits war es bei den schwankenden Stimmungen in den Militärschulen wichtig, durch die Tat zu zeigen, daß die Übergabe auf Gnade und Ungnade des Siegers die Junker mit keinen Strafen bedrohe. Die Argumente für und wider hielten sich gleichsam die Waage.
Aus dem von den Aufständischen noch nicht besetzten Kriegsministerium meldete morgens General Lewitzki mittels direkter Leitung ins Hauptquartier dem General Duchonin: "Die Truppenteile des Petrograder Garnison ... gingen zu den Bolschewiki über. Aus Kronstadt trafen Matrosen mit einem leichten Kreuzer ein. Die hochgezogenen Brücken werden von ihnen wieder geschlossen. Die ganze Stadt ist von Wachtposten überzogen, doch finden keine Demonstrationen statt [!]. Die Telephonzentrale ist in den Händen der Garnison. Die im Winterpalais untergebrachten Truppen tun nur formell Dienst, da sie beschlossen haben, aktiv nicht hervorzutreten. Im allgemeinen hat man den Eindruck, als befände sieh die Provisorische Regierung in der Hauptstadt eines feindlichen Staates, der die Mobilisierung durchgeführt, aber aktive Handlungen noch nicht begonnen hat." Ein unschätzbares militärisches und politisches Zeugnis! Der General kommt allerdings den Ereignissen zuvor, wenn er sagt, aus Kronstadt seien Matrosen eingetroffen: sie werden erst in einigen Stunden eintreffen. Die Brücke ist tatsächlich von der Aurora geschlossen worden. Naiv ist die am Schluß des Berichtes ausgesprochene Hoffnung, daß die Bolschewiki, "die schon lange die faktische Möglichkeit besitzen, mit uns allen abzurechnen ... nicht wagen werden, der Ansicht der Frontarmee zuwiderzuhandeln". Illusionen in bezug auf die Front - das war alles, was den Hinterlandsgeneralen wie den Hinterlandsdemokraten übriggeblieben war. Dagegen wird das Bild von der Provisorischen Regierung, die sich "in der Hauptstadt eines feindlichen Staates" befindet, für immer in die Geschichte eingehen als die beste Erklärung der Oktoberumwälzung.
Im Smolny gingen ununterbrochen Sitzungen. Agitatoren, Organisatoren, Betriebs-, Regiments-, Bezirksleiter kamen für eine - zwei Stunden, mitunter auch nur für einige Minuten, um Neuigkeiten zu erfahren, sich zu überprüfen und auf ihre Posten zurückzukehren. Beim Zimmer Nr. 18, wo die bolschewistische Sowjetfraktion untergebracht war, herrschte ein unbeschreibliches Gedränge. Die vor Müdigkeit erschöpften Besucher schliefen nicht selten im Sitzungssaal ein, den schweren Kopf an eine der weißen Säulen gelehnt, oder im Korridor an der Wand, die Flinte fest im Arm; manchmal streckten sie sich einfach auf dem schmutzigen, nassen Fußboden aus. Laschewitsch empfing die militärischen Kommissare und erteilte ihnen die letzten Anweisungen. Im Raume des Militärischen Revolutionskomitees, in der dritten Etage, verwandelten sich die von allen Seiten zusammenströmenden Meldungen in Befehle: dort schlug das Herz des Aufstandes.
Die Bezirkszentren widerspiegelten das Bild des Smolny, nur in kleinerem Maßstabe. Auf der Wyborger Seite, gegenüber dem Stab der Roten Garde, auf dem Sampsonjewski-Prospekt, war ein ganzes Lager entstanden: die Straße sperrten mit ihren Pferden bespannte Wagen, Automobile, Lastautos. Die Bezirksinstitutionen wimmelten von bewaffneten Arbeitern. Sowjet, Duma, Gewerkschaften, Fabrikkomitees, alles in diesem Bezirk diente der Sache des Aufstandes. In Betrieben, Kasernen, Ämtern ging im kleinen das gleiche vor sich wie in der gesamten Hauptstadt: die einen wurden
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