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Geschichte der Tuerkei

Geschichte der Tuerkei

Titel: Geschichte der Tuerkei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kreiser
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Studierenden angenähert. Rund 3,5 Millionen Studierende verteilen sich auf über 1600 Fakultäten und Hochschulen.
    Am Ende der byzantinisch-osmanischen Imperien hatten sich große Teile Anatoliens durch Überweidung, unkontrollierte Rodung, Holzentnahme und Feuer in eine Steppe verwandelt. So war auch nach der Türkisierung Anatoliens (ab dem 11. Jahrhundert) die Entwaldung fortgesetzt worden, wobei die Eingriffeder Bauern vielleicht größer waren als die der Nomaden. Der extensive Getreideanbau, der im niederschlagsarmen Inneranatolien bis zu 90 % der Anbaufläche einnahm, hatte dabei den Hauptanteil. Die Aufforstung und damit der Kampf gegen die Erosion ist eines der verspäteten republikanischen Projekte. Vor 1937 war nichts geschehen, danach standen die Maßnahmen bis in die 1950er Jahre fast nur auf dem Papier. Bis 2009 gelang schließlich die Aufforstung von fast 2 Millionen Hektar, ein immer noch zu geringer Anteil bei rund 21 Millionen Hektar Staatswald, von denen die Hälfte stark degradiert ist.
    Bis auf wenige Ausnahmen gab es vor 1918 keine planmäßigen Eingriffe in die Landschaft. Heute zeigt ein Blick auf die Landkarte, wie massiv die Türkei ihre Rolle als Oberlieger der großen mesopotamischen Flusssysteme genutzt hat, um Strom zu erzeugen und die Bewässerung von Regionen unterhalb zu sichern. 1984 wurde das in den 1960er Jahren geplante und seit 1976 als «Südostanatolien-Projekt» (
Güneydoğu Anadolu Projesi,
GAP) bekannte Unternehmen in ein riesiges integriertes Entwicklungsprogramm umgewandelt, das 74.000 km 2 und damit 10 % der türkischen Landesfläche umfasst und vor allem der Energiegewinnung dient. Zwischen 1971 und 1997 konnte die Türkei aber auch ihre Bewässerungsflächen mehr als verdoppeln und übertraf damit Länder wie Spanien und Ägypten. Ab Ende der 1990er Jahre wurden weitere Entwicklungsregionen ausgewiesen, darunter das Ostanatolien-Projekt und der Regionalplan Östliches Schwarzes Meer. «Diese überaus positive Entwicklung der türkischen Planung wurde entscheidend durch die Verhandlungen mit der EU, den Beitritt zur EU-Zollunion und die Bestätigung der EU-Beitrittsperspektive vorangebracht.» (Ernst Struck).
    Die Entscheidung, Ankara zum Sitz von Regierung und Parlament zu bestimmen, war nicht nur als Aufwertung Anatoliens zu verstehen, sondern auch als ausdrückliche Abwendung von der osmanischen Vergangenheit. Nach dem endgültigen Verlust Rumeliens, jener Balkanprovinzen, aus denen große Teile der osmanischen und republikanischen Elite stammten, wurde diementale Entfernung der anatolischen Menschen von der alten Metropole Istanbul oft thematisiert. Der Erzähler in Yakup Kadri Karaosmanoğlus Roman «Der Fremde» (1932) wählte einen drastischen Vergleich: «Der Unterschied zwischen einem gebürtigen Istanbuler, der die Schule besucht hat, und einem anatolischen Bauern ist gewaltiger als der Unterschied zwischen einem Engländer aus London und einem Inder aus dem Pandschab …». Ankara hatte im Gegensatz zu Kayseri und Sivas zudem den Vorzug eines Eisenbahnanschlusses. Mit der Beschränkung der Republik Türkei auf ihre Territorien östlich des Bosporus und ein kleines Stück Thrakien lag nichts näher als den Namen «Anadolu» auf der Landkarte einzutragen. Ursprünglich verstand man unter Anatolien nur Kleinasien als den westlichen, halbinselförmigen Teil der asiatischen Türkei. Durch die Erfindung von Regionalnamen wie «Ostanatolien», «Südostanatolien» und «Schwarzmeerraum» versprach man sich eine Auslöschung des Gedächtnisses an historische Landschaftsnamen wie Armenien, Kurdistan, Kilikien, Obermesopotamien oder Pontos und mit ihnen verbundene Besitzansprüche. Von den vortürkischen Bezeichnungen wird offiziell außer Anadolu und Ege (Ägäis) nur noch der Thrakiens (
Trakya
) verwendet.
    Die Republik Türkei gliedert sich heute in 81 Provinzen (
il,
früher
vilayet
), deren Verwaltung unter einem vom Innenministerium eingesetzten
vali
an das französische Präfekturwesen angelehnt ist. Herkömmliche Provinznamen wurden im Laufe der frühen Republik durch artifizielle türkische Bildungen ersetzt. Bekannte Beispiele sind Dersim (siehe S. 56), das zu Tunceli («Bronzeland») wurde, und der
Sancak
İskenderun (siehe S. 20), der noch vor seinem Anschluss an die Türkei den pseudo-hethitischen Namen Hatay erhielt. Auch auf der Ebene der Siedlungsnamen wurden massive Umbenennungen vorgenommen, die erst Anfang des 21. Jahrhunderts in

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