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Geschichte der Tuerkei

Geschichte der Tuerkei

Titel: Geschichte der Tuerkei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kreiser
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betragen mag, sein sunnitisches Gesicht zu zeigen. Angesichts einer anhaltend günstigen wirtschaftlichen Entwicklung wächst in Ankara die Überzeugung, dass die Türkei beim Jubiläum zum hundertjährigen Bestehen der Republik im Jahr 2023 global eine aktive Rolle einnehmen wird.
    In diesem Buch bemühe ich mich, den Weg der Türkei und ihrer Menschen zwischen 1920 und der Gegenwart darzustellen. Ohne zentrale Gegenstände wie die Integration in westliche Bündnissysteme, die Rolle des Islams oder die Kurdenfrage zu vernachlässigen, wende ich mich auch Themen zu, die in vielen Überblickswerken zu kurz kommen, wie zum Beispiel der Entwicklung im ländlichen Raum, dem West-Ost-Gefälle und dem Bildungswesen. «Voraussagen» über die Zukunft gehören ebenso wenig in eine historische Darstellung wie Lob und Tadel.
    Hilfreiche Anmerkungen verdanke ich Wolf-Dietrich Hutter, Heike Jung, Christoph K. Neumann und Maurus Reinkowski.
Berlin, im Frühjahr 2012
Klaus Kreiser

1. Das Osmanische Reich in einer Nussschale?
    Die amtliche Eigenbezeichnung Türkei bzw.
Türkiye
ist neu, obwohl der Name
Turchia
und davon abgeleitete Formen seit den Kreuzzügen außerhalb des Landes allgemein gebräuchlich waren. Die vorrepublikanische Türkei führte in staatlichen Dokumenten, auf Geldscheinen, Münzen und Briefmarken die Benennung «Erhabener Osmanischer Staat» (
Devlet-i Aliye-i Osmaniye
). Nach der kurzlebigen Variante
Türkiya
entschied man sich mit der Schriftreform von 1928 für
Türkiye,
eine Form, die zwischen einer arabisierenden Wortbildung und dem französischen
Turquie
vermittelt, das seit jeher als gleichbedeutend mit «Osmanisches Reich» verwendet wurde. Die Türkei war das erste islamische Land, das die Staatsform einer Republik (aus arab.
Cumhuriyet,
bis 1938 in der Form
Cümhuriyet
) annahm; ihr voller offizieller Name ist deshalb
Türkiye Cumhuriyeti,
abgekürzt
T. C.
Alle Bewohner dieser Republik waren im Sinne der Verfassung von 1924 «Türken», wobei ihre «Gleichheit vor dem Gesetz» bis heute eng ausgelegt wird. So verweigert das Verfassungsgericht beispielsweise Angehörigen von Minderheiten die Führung von Vor- und Nachnamen in ihren angestammten Sprachen (wie Kurdisch oder Aramäisch).
    Die am 29. Oktober 1923 in Ankara ausgerufene Republik Türkei stellt sich dem Betrachter der Landkarte als ein Staat dar, der in größtenteils natürlichen Grenzen zwischen dem Schwarzen Meer, der Ägäis und dem Mittelmeer eingeschlossen ist. Manche Historiker erkennen in der Republik ein Osmanisches Reich
en miniature,
eine Art Kondensat nicht nur seiner Menschen, sondern auch von deren Sitten und Gebräuchen; andere sehen in ihr den nationalen Torso des ehemaligen Vielvölkerstaates. Entsprechend uneinheitlich sind die Antworten auf die Frage, ob auf dem Boden Anatoliens ein Schmelztiegel der religiösen und sprachlichen Gruppen entstanden ist oder ob wirvielmehr ein Mosaik aus den (nur sprichwörtlichen) «72½ Volksgruppen» vor uns haben.
    Mit einer Fläche von 783.562 km 2 übertrifft die heutige Türkei sowohl das Staatsgebiet Frankreichs (674.843 km 2 ) als auch Spaniens (504.645 km 2 ). Angesichts der Größe der asiatischen Türkei erscheint der nach den Balkankriegen (1912/13) verbliebene europäische Anteil (3,04 %), wenn man allein die geographische Ausdehnung im Auge hat, als eher unbedeutend. Die Türkei hat seit 1923 mit Ausnahme des 1939 beigetretenen, in Europa als «Sandschak von Alexandrette» (İskenderun) bezeichneten Gebiets keine territorialen Veränderungen erlebt. Die Bevölkerung dagegen wandelte sich in den Jahrzehnten nach der Gründung sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht radikal. Die junge Republik zählte etwa 14 Millionen Einwohner und hatte mit ca. 18 Menschen pro Quadratkilometer eine geringere Bevölkerungsdichte als alle europäischen Staaten. Nach einem halben Jahrhundert (1970) hatte die Türkei mit 34,8 Millionen Einwohnern Spanien, nach weiteren 25 Jahren (1995) mit 61,9 Millionen auch Italien überholt. Im Jahr 2010 ermittelte die amtliche Zählung 73.722.938 Bürger.
    Trotz seiner komplexen ethnisch-linguistischen Gemengelage erwies sich Anatolien letztlich als ein Kulturraum, der etwa 4 Millionen Einwanderer aus dem Kaukasus, von der Krim, aus Kreta und den Balkanländern nach mehreren Generationen zu Türken machte. Im historischen Gedächtnis der Bevölkerung bleibt aber als Ergebnis von Vertreibungen und Bevölkerungsaustausch mit

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