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Geschichte der Tuerkei

Geschichte der Tuerkei

Titel: Geschichte der Tuerkei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kreiser
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als Sonderfall einer demokratischen Republik gilt. Einerseits zieht die Armee die größte Aufmerksamkeit als latente Opposition auf sich, andererseits ist sie die Institution, von der man am wenigsten weiß. «Die türkischen Streitkräfte sind im Vergleich zu anderen Ländern die beredtsten, aber gleichzeitigdiejenigen, die es am wenigsten schätzen, wenn man von ihnen spricht – abgesehen von lobenden Worten» (Ahmet İnsel). Auch wenn der preußische Militarismus eine prägende Wirkung hatte – so gab es von Helmuth von Moltke in den 1830er Jahren über Goltz Pascha bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs deutsche Berater und Kommandeure im Land –, bildeten die türkischen Generäle und Offiziere, da ein Geburtsadel fehlte, keine vom Durchschnitt der Bevölkerung abgehobene soziale Gruppe. Seit den jungtürkischen Reformern sahen sie sich als Erzieher der Nation.
    Ungeachtet aller dramatischen Umbrüche und rasanter Prozesse weist die Türkei ein beachtliches Maß an Kontinuität mit der osmanischen Vergangenheit auf – sofern man die Rolle der Nichtmuslime in dieser Epoche ausklammert. Bürokratie und politisches Establishment stehen nach wie vor in einem engen, durch vielfältige Formen von Patronage und Klientelismus verbundenen Zusammenhang. Wie in der osmanischen Epoche beansprucht der Staat die Kontrolle über die Religion. «Staatlicher Autoritarismus, Rigorosität, Strenge und Formalismus» tragen das osmanische Erbe weiter (Şerif Mardin). Anders als die Staaten der arabischen Welt, in denen der Anschluss an kulturelle und militärische Leistungen der Altvorderen mit dem
nationbuilding
nur sehr bedingt zu verknüpfen war, hat sich der Republik Türkei trotz aller proklamierten «Zurückweisung des (osmanischen) Erbes» (
redd-i miras
) die Aufgabe, eine Nation zu gründen, nie gestellt, denn sie war schon eine Nation
avant la lettre.

2. Die Republik vor der Republik (1920–1923)
    Der Weltkrieg endete für das Osmanische Reich an Bord des britischen Kriegsschiffs
Agamemnon,
das im Hafen von Mudros (türkisch Mondros) vor der Ägäis-Insel Lemnos ankerte. Eine von der Sultansregierung ermächtigte Delegation unter demMarineminister Rauf Bey (Orbay) unterschrieb hier am 30. Oktober 1918 das von Admiral Arthur G. Calthorpe diktierte Waffenstillstandsabkommen. Die französischen und italienischen Verbündeten Englands waren nicht hinzugezogen worden. Die wichtigsten Bestimmungen des 25-Punkte-Papiers lauteten: Die türkische Armee musste bis auf die für die Bewachung der Grenzen und die Aufrechterhaltung der Ordnung erforderlichen Formationen sofort demobilisiert werden. Die Flotte war den Alliierten zu übergeben und alle Häfen, Eisenbahnen und Telegraphen ihrer Kontrolle zu unterstellen. Die Beziehungen zu den Mittelmächten Deutschland und Österreich-Ungarn mussten vollständig abgebrochen werden, deren gesamtes (mindestens 10.000 Mann starkes) militärisches und ziviles Personal hatte das Land zu verlassen. Jenseits der Demarkationslinie zwischen den nicht besetzten Gebieten und denen unter alliierter Kontrolle durfte, so wollte es der äußerst dehnbare Artikel 7, bei einer Lage, «welche die Sicherheit der Alliierten bedroht», jeder Punkt besetzt werden. Im Falle von Unruhen in den sogenannten «Sechs armenischen Provinzen» behielten sich die Sieger das Recht vor, beliebige Teile zu okkupieren.
    Am 13. November lagen trotz Admiral Calthorpes Versicherung, die osmanische Hauptstadt nicht besetzen zu wollen, 55 Schiffe aller drei Mächte vor Istanbul. Die Alliierten ließen sich durch das Papier von Mudros auch anderenorts nicht binden. Noch im November marschierten die Briten in Mosul, Mittelpunkt eines erdölreichen Gebiets, sowie in das nordsyrische Kilis ein. Frankreich okkupierte die Städte Adana, Urfa und Maraş. Antakya und İskenderun mit ihrer ethnisch äußerst bunten Gemengelage blieben bis 1938 als
Sancak Alexandrette
Bestandteil des französischen Mandatsgebiets Syrien. Italien sicherte sich Antalya und sein Hinterland. Bereits 1915 hatte die Entente Rom den Kriegseintritt mit der Besetzung eines «gerechten Anteils» – im Fall einer Aufteilung der asiatischen Türkei – schmackhaft gemacht. Der «Waffenstillstand» von Mudros war in Wirklichkeit eine folgenreiche Kapitulation, hatte aber zunächst weder eine Regierungsneubildung noch den Thronverzicht des Sultans zur Folge. Anders als in den Hauptstädten derVerbündeten, Berlin und Wien, hatte die osmanische Dynastie ihre

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