Geschichte der Welt 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege (German Edition)
Faschistenführer an Zulauf, aber auch der Gegensatz zwischen diesen beiden verschärfte sich. Der Kontinent, der Ende des 19. Jahrhunderts selbstbewusst seine aufklärerische Mission verkündet hatte, trat ein in ein «Zeitalter der Extreme» (Eric Hobsbawm), in dem autoritäre Herrschaft eine Blüte erlebte und die liberale Demokratie in die Defensive gedrängt schien, zumindest bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs.[ 8 ]
Im Verlauf des hier behandelten Zeitraums nahm die Intensität des Tötens mit jedem Einsatz militärischer Macht zu, weil die Feuerwaffen technisch immer ausgereifter und tödlicher wurden. Luftangriffe beispielsweise wurden immer zielgenauer und damit für Militär wie Zivilbevölkerung immer tödlicher. Nicht einmal zwei Jahrzehnte lagen zwischen dem Kleinflugzeug, das in den Kolonialkriegen der 1920er Jahre – etwa dem der USA in Nicaragua oder dem der Briten im Irak – Aufständische bombardierte, und den strategischen Bombern und der mit Atomwaffen bestückten Enola Gay des Zweiten Weltkrieg. Und in Wellen kam es zu Massentötungen, die immer effizienter vonstatten gingen: Armenier, die während und nach dem Ersten Weltkrieg in die Wüste getrieben wurden und dort zugrunde gingen; Josef Stalins todbringende Hungersnot in der Ukraine und seine Hinrichtungen während der Säuberungen der 1930er Jahre, die zusammen zwischen 15 und 20 Millionen Todesopfer forderten; der industriemäßig betriebene Völkermord der Nationalsozialisten.[ 9 ]
Da Extreme immer neue, noch größere Extreme nach sich zogen, konnte die Brutalität zu etwas ganz Normalem werden. Timothy Snyder hat von den «Bloodlands» gesprochen und damit die Gegend Europas gemeint, in der Stalins und Hitlers imperialer Konkurrenzkampf am heftigsten wütete und rund 14 Millionen Juden, Roma und Osteuropäer ihr Leben ließen. Nationalsozialistische und japanische Militaristen, deren Expansionsdrang den Zweiten Weltkrieg ausgelöst hatte, verbanden die Träume von Landimperien in Osteuropa bzw. in der Mandschurei zu Ideologien, welche die Vernichtung von «Minderwertigen» rechtfertigten, wenn diese im Weg waren. Der Zweite Weltkrieg brachte die finstersten und brutalsten Impulse der Epoche zum Vorschein und wurde zum größten globalen Blutvergießen in der Menschheitsgeschichte. Die Zahl der Toten, die sich auf vierzig bis fünfzig Millionen belief, gut die Hälfte davon Zivilisten, stellte die Opferzahlen des Ersten Weltkriegs weit in den Schatten, von früheren regionalen Konflikten gar nicht erst zu reden.[ 10 ]
Neue Technologien hatten die Menschen miteinander verbunden, aber was aus diesem Kontakt entstand, konnte sich in Hass und Schrecken verwandeln. Die exponentiell gestiegene Fähigkeit, Leben zu zerstören – das von Zivilisten genauso wie das von Soldaten –, stand keineswegs im Gegensatz zur Konnektivität der Zeit; sie war eine Begleiterscheinung. Insbesondere der Beitrag von Charles S. Maier widmet sich dem Kräftespiel zwischen dem neuen Zeitalter der Globalisierung und den wachsenden Instabilitäten – Kriegen und Revolutionen –, die nach 1895 Fahrt aufnahmen.
Während der «dunkle Kontinent» Europa in unserem Zeitraum seine Tötungstechnologien in alle Welt verbreitete, hatte die Mechanisierung auch Folgen für die natürliche Umwelt, wie Topik und Wells zeigen. Tatsächlich erlebten das späte 19. und das frühe 20. Jahrhundert die massive Beschleunigung einer anderen Art von Krieg, eines Krieges, der gegen Arten und Ökosysteme geführt wurde. Es ist nicht so, dass diejenigen, die sich oft der Verbreitung der Zivilisation rühmten, üblicherweise die Absicht hatten , pflanzliches und tierisches Leben zu zerstören, aber Intentionen sind kein besonders brauchbarer Maßstab für das, was am Ende als Ergebnis steht. Mitunter kam es ganz bewusst zu systematischer Zerstörung: So schlachteten landhungrige Amerikaner in den Great Plains Millionen von Büffeln ab, zum Teil aus Spaß und Profitstreben, zum Teil, um den «Eingeborenen» die Fähigkeit zu rauben, sich der weißen Expansion zu widersetzen. Viel häufiger jedoch entstanden Umweltschäden aus Unwissenheit über das natürliche Gleichgewicht oder aufgrund der Annahme, die Gaben der Natur seien unerschöpflich. Die großen Schwärme von Zugvögeln, die 1850 noch den Himmel verdunkelten, wurden schnell kleiner; die riesigen Tierherden in Afrika fielen Tierhändlern und anderen profitgierigen Menschen zum Opfer. Vertreter der Akklimatisierungstheorie
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