Geschichte der Welt 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege (German Edition)
die Mobilität des Kapitals und die Rechtfertigungen für neu gestaltete Formen transnationaler Wirtschaftsmacht gehörten. Die künftigen Konturen moderner Staatlichkeit wurden, so schien es, immer ungewisser.
«Zwischen der Mitte des 19. und der Mitte des 20. Jahrhunderts», so Maier abschließend, «hatten sich Staaten auf vielfache Weise neu organisiert und strukturiert: Sie hatten um ein zusammenhängendes Territorium gekämpft, sich die Mittelschicht verpflichtet, das Staatsgebiet konsolidiert, ‹Nomadenvölker› oder Stämme unterjocht und sich in beispiellosen Kriegen gegenseitig bekämpft. Sie hatten mit revolutionären Parteien experimentiert, deren Mitglieder von Visionen gewaltsamer Veränderung vergiftet waren und faktisch die brutalsten Führer verehrt hatten; und schließlich waren sie bestrebt gewesen, Normalität und ein prekäres Gleichgewicht zu den immer mächtiger werdenden Kräften der Ökonomie herzustellen.»
Die modernen Staaten, die darum bemüht waren, Grenzen zu konsolidieren und neue Regierungsformen zu entwickeln, beteiligten sich auch am Konkurrenzkampf des empire building , und das anschließende Kapitel von Tony Ballantyne und Antoinette Burton befasst sich eingehender mit den imperialen Begegnungen und Zusammenstößen. Die Autoren stützen sich dabei auf zahlreiche Untersuchungen der sogenannten «neuen Imperialgeschichte» und betonen, dass das Imperium nichts war, was in den europäischen Hauptstädten ersonnen und dann «dort draußen» implementiert wurde. Vielmehr beeinflussten Imperialsysteme mit ihren zahlreichen ökonomischen, rassen- und genderspezifischen Formen die Imperien in all ihren Teilbereichen. Das Kapitel befasst sich deshalb mit der «imperialen Globalität» – den mannigfaltigen territorialisierenden Regimen, die überall auf der Welt Kolonien errichteten und gleichzeitig um ausbeutbare Ressourcen und die Kontrolle über die «Eingeborenen» konkurrierten.
Ballantyne und Burton betonen jedoch, dass das «imperiale Globale» kein kohärenter oder allumfassender Moloch war, sondern vielmehr ein höchst uneinheitliches «Gefüge aus unregelmäßigen Integrationsprozessen, hinter denen keine gemeinsame treibende Kraft stand; vielmehr spiegelten diese Prozesse die Wechselfälle von Konvergenz und Divergenz, von Begierde und Gleichgültigkeit, von Intentionalität und Trägheit wider». Sie zeigen somit, welche Rolle imperiale Macht bei der Schaffung des Globalen spielte, verweisen jedoch auch auf die Grenzen, Ängste und Verwundbarkeiten, die mit imperialer Herrschaft verbunden waren, und betrachten Imperien nicht nur von ihren Zentren, sondern von verschiedenen Blickwinkeln, Räumen und Mikroebenen aus.
Das Kapitel geht zunächst der räumlichen Logik und den kulturellen Formen moderner Imperien nach. Imperien erscheinen dabei als «platzschaffende Regime», die geographischen Raum sowohl ent- als auch reterritorialisieren, und anhand von Beispielen aus vielen Imperialsystemen werden Schlüsselinstitutionen imperialer Interaktion analysiert: Militäreinrichtungen, Missionsstationen, Arbeitsplätze und Haushalte. In all diesen Bereichen waren die Vertreter der Imperialmacht bestrebt, die indigene Bevölkerung zu kontrollieren, mussten sich jedoch mit bestehenden lokalen Praktiken arrangieren. Konflikte um die Organisation und Nutzung von Raum traten häufig in Zeiten imperialer Krisen zutage. Die Autoren wollen verstehen, inwieweit diese sozialen Kartographien des Imperiums den Charakter imperialer Macht prägten, und gehen dabei vor allem einer Frage nach: «Wie lässt sich die historische Bedeutung nicht nur des aus Imperien resultierenden Kontakts und Konflikts ermessen, sondern auch des Fortbestands einheimischer Lebensformen in den autonomen wie in den abgetrennten Räumen, die infolge imperialer Autorität und Macht entstanden?» Ihr besonderes Augenmerk gilt den Themenfeldern Kultur, Arbeit und soziale Stellung, bei denen nicht zuletzt Rasse, Geschlecht und Sexualität eine Rolle spielen. «Von zentraler Bedeutung für dieses Projekt», so schreiben sie, «sind Fragen von Gender und Sexualität, von Rasse und Ethnizität, von Klasse und Status, und zwar nicht nur, weil sie erklärungsbedürftig sind, sondern weil sie absolut entscheidend dafür waren, wie Imperien sich entfalteten.»
Anschließend richtet das Kapitel den Blick auf die weltweiten Veränderungen in den Kommunikations-, Verkehrs- und Wirtschaftssystemen, die dem empire building
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