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Geschichte der Welt 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege (German Edition)

Geschichte der Welt 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege (German Edition)

Titel: Geschichte der Welt 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Osterhammel , Emily S. Rosenberg , Akira Iriye
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klären. Der Verfasser betrachtete die Marx’schen Analysen stets als wirksames Instrument, um Ähnlichkeiten zwischen radikalen Transformationsprozessen ausfindig zu machen, aber als wenig brauchbar, wenn es darum geht, deren individuellen Verlauf detailliert zu erklären. Am erhellendsten waren diese Analysen oft, wenn ihre Vertreter, darunter Marx selbst sowie Friedrich Engels, sich mit Ereignissen befassten, die nicht ihren frühen Erklärungsmustern folgten, etwa die Revolutionen in Frankreich und Deutschland 1848.[ 80 ]
    Angesichts der entscheidenden Rolle, welche die nationalistischen Samurai in Japan (oder die preußische Elite) spielten, war die Wissenschaft häufig versucht, die Transformation Ende des 19. Jahrhunderts als Modernisierung von oben zu beschreiben. Dieses «von oben» ist insofern richtig, als nationale Führungspersönlichkeiten – mitunter Minister, mitunter Monarchen – bedeutsame Regime durchsetzten, welche die «feudalen» Institutionen eines älteren Regimes untergruben. Gleichwohl fehlte es nie an allgemeiner Agitation auf breiter Basis und an hartnäckigen Loyalitäten gegenüber dem Dorf und lokalen Rechtsordnungen. Die Japaner an der Staatsspitze stritten selbst heftig über ihre Politik, auch wenn Außenstehende das harte Ringen dieser Jahre nur selten zu sehen bekamen (anders als die Morde in den 1850er und dann wieder in den 1930er Jahren). Die Modernisierung von oben war denn auch die wohl gängigste Strategie, um die Lebensfähigkeit des Staates zu erhalten in einer Zeit, deren Staatsmänner erkannten, dass die kollektive Existenz fiskalische Effizienz, industrielle und militärische Modernisierung sowie Wettbewerbsorientierung verlangte. Deshalb beschleunigten militärische Herausforderungen oftmals die Zentralisierung der Verwaltung, wie sie in früheren Jahrhunderten die fiskalische Zentralisierung vorangetrieben hatten. Andere Beispiele für dieses Vorgehen finden sich – allerdings mit weniger einschneidenden Folgen – im Osmanischen Reich, in Ägypten, später dann im russischen Kaiserreich, eine Zeit lang in Mexiko und in Thailand. Mitunter wird dieses Etikett auch auf das neue geeinte deutsche «Reich» angewandt, das Bismarck zu einem mächtigen deutschen Nationalstaat machen wollte.
    Tatsächlich ist Modernisierung von oben ein recht vage definierter Begriff, der sich, wie wir sehen werden, auf mindestens zwei oder drei Erfahrungsvarianten anwenden lässt: Das klassische Modell dieses Prozesses bezog sich auf eine Strategie für alte Imperien und Staaten, die in hohem Maße auf traditionellen religiösen Strukturen und der Herrschaft von Grundherren über die Bauern fußten, aber von außen bedroht wurden, insbesondere durch die zersetzende gesellschaftliche Kraft, die Mitte des 19. Jahrhunderts am Werk war: den britischen Industriekapitalismus und, damit einhergehend, die boomenden Geschäfte tatkräftiger Unternehmer (und der sie unterstützenden Regime) in Europa und den USA.
    Als Reaktion darauf waren die entschlossenen und ambitionierten Verwalter dieser Staaten der Überzeugung, sie müssten qua Edikt Bürger schaffen und ihre produktiven Energien mittels einer staatlich geförderten Industrie nutzen. Das wiederum bedeutete, dass man Familien und Individuen in einen direkten Bezug zum Staat setzen und die Kontrolle durch ihre Grundherren verringern musste. Bei diesem Prozess konnten religiöse Autoritäten weiterhin von Nutzen sein, doch die politische Autonomie dieser Autoritäten sollte der säkularen Regierung mehr oder weniger erfolgreich untergeordnet werden. Beispiele dafür sind Japan, Russland oder die Türkei. Im spätimperialen China mussten sich die Reformer, die sich nach 1860 an derartigen Veränderungen versuchten, zumeist der verbliebenen Macht der traditionellen Politik des Kaiserhofs beugen. Das chinesische Ancien Régime beanspruchte zu viel konservative Legitimität. Es sollte einer Revolution bedürfen, um den Widerstand zu brechen, und selbst dann hatten es die aufstrebenden Reformer mit sehr hartnäckigen Formen von Beharrungsvermögen in der Bevölkerung und tief verwurzelten Privilegien zu tun.
    Doch als «Modernisierung von oben» lässt sich auch eine vorübergehende Strategie von Staaten beschreiben, die über weniger mächtige oder ehrwürdige Regime verfügten. Mehrere große Staaten mit robusten Traditionen der Beteiligung des Volkes an der Legislative und auf lokaler Ebene suchten einige Jahrzehnte lang ihr Heil in einer

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