Geschichte der Welt 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege (German Edition)
angetreten, durch die römische Revolution aber in Angst versetzt worden war, dazu übergehen, Liberalismus und Nationalismus zu verurteilen. Die 1859 gegründete italienische Nationalbewegung vereinte eine entschlossene Kohorte von Anhängern aus der Mittelschicht und dem Adel, die vor allem aus den Städten im Norden und in der Mitte der Halbinsel stammten. Sie waren jetzt nicht mehr Studenten oder Aktivisten des Geheimbunds der carbonari , sondern eine bürgerliche Bewegung. Ähnlich mussten sich die Nationalbegeisterten in Deutschland eingestehen, dass sie 1848 zu großzügig und idealistisch gewesen waren; sie mussten die bestehenden Staaten als Grundlage für ihr Tun akzeptieren und sich mit den Fürsten arrangieren. Die restaurierte Staatsstruktur Mitteleuropas brach auf und die anfangs repressive Reaktion wurde Ende der 1850er Jahre gelockert. In Preußen musste der Restaurationskönig Friedrich Wilhelm IV. – der die «Krone aus der Gosse» (das heißt aus den Händen der Frankfurter Nationalversammlung) abgelehnt hatte – 1858 aus gesundheitlichen Gründen abtreten und seinem Bruder als Regent Platz machen (1861 bestieg dieser dann als Wilhelm I. den preußischen Thron). Er war zwar beileibe kein Liberaler, ernannte jedoch ein neues Kabinett, das sich dem harten Vorgehen nach der Revolution verweigerte, und rief Neuwahlen zum Landtag aus, womit er eine Zeit der erneuten politischen Diskussion einläutete, die sogenannte «Neue Ära».
Was Ideologie und soziale Herkunft angeht, waren die Nationalisten bereit, sich vom Republikanismus zu verabschieden und nach monarchischen Staatsoberhäuptern umzusehen, ob in Turin oder in Berlin. Mit Sicherheit aber waren sie nicht willens, sich dem Sozialismus zu verschreiben. Doch wie sollten sie das geopolitische Dilemma der österreichischen Macht lösen, die, unterstützt vom russischen Zaren, bereitstand, um in Deutschland, Böhmen und Italien zu intervenieren? Cavours Strategie lief daraus hinaus, Bonaparte (der nach einem coup d’état von 1851 und einem Plebiszit im Jahr darauf nun als Kaiser Napoleon III. über die Franzosen herrschte) dazu zu bringen, sich der italienischen Sache anzunehmen. Napoleon sah sich gern als Sachwalter der Nationalitäten, schützte jedoch auch die Herrschaft des Papstes inmitten Italiens.
Es war der Krimkrieg (1853–1856), der die internationalen politischen Möglichkeiten grundlegend veränderte. Auf den ersten Blick handelte es sich dabei um einen obskuren Kampf, den die Franzosen führten, um ihren Einfluss in der Levante und die römisch-katholische religiöse Schutzherrschaft für Jerusalem gegen russisch-orthodoxe Ansprüche auf die gleichen heiligen Stätten zu verteidigen. London sorgte sich vor allem wegen des russischen Drucks auf das Osmanische Reich, das durch seine früheren Verluste von europäischen Gebieten, durch die Feldzüge gegen Muhammad Ali sowie durch die eigenen Reformbemühungen (Tanzimat) geschwächt war. St. Petersburg strebte nach der militärischen Hegemonie im Schwarzmeerraum und wollte über die Meerengen des Bosporus und der Dardanellen freien Zugang zum Mittelmeer; London sah seine eigene Rolle zur See bedroht und war entschlossen, das osmanische Imperium am Leben zu erhalten. Der Krieg – bei dem vor allem um die Kontrolle über die Häfen auf der Halbinsel Krim gekämpft wurde – erwies sich als langwierige und vertrackte Auseinandersetzung, welche die Schwächen auf beiden Seiten zutage brachte. Deutlich wurde aber auch die Überdehnung des Habsburgerreichs. Die Russen erwarteten, dass sich Wien für die Hilfe bei der Niederschlagung der Revolution 1849 revanchierte und alle britisch-französischen Truppenbewegungen auf dem Balkan untersagte; stattdessen besetzten die Österreicher die Donauprovinzen, welche die Russen geräumt hatten. Doch Cavour in Turin stellte sich mit den Truppen Piemonts auf die Seite der Briten und Franzosen, weil er hoffte, in den anschließenden Friedensverhandlungen würden London und Paris Österreich dazu zwingen, die habsburgische Kontrolle über Norditalien aufzugeben. Die Österreicher, die den Verlust ihrer italienischen Provinzen fürchteten, versuchten Briten und Franzosen dadurch zu beschwichtigen, dass sie sich mit ihnen zusammentaten und den Russen mit einem Eingreifen drohten, wenn diese die Friedensbedingungen ihrer Gegner nicht akzeptierten. Bei den Friedensverhandlungen in Paris 1856 sollte Cavour allerdings eine Enttäuschung erleben; er bekam keine
Weitere Kostenlose Bücher