Geschichte der Welt 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege (German Edition)
liberale Landwehr in ihrer Rolle beschneiden, die sie inzwischen für sich beanspruchte. 1861/62 drängte er auf eine Vergrößerung und Umstrukturierung des Heeres, der sich die Liberalen aus ideologischen und fiskalischen Gründen widersetzten. Da er nicht über die nötigen Stimmen verfügte, um die Heeresreform durch den preußischen Landtag zu bringen, ernannte er auf Rat seiner Generäle Otto von Bismarck zum Ministerpräsidenten.
Bismarck entstammte selbst einem alten Adelsgeschlecht, er war ein preußischer Junker, der 1848 entschieden konservativ gewesen war und Österreichs Rolle im Deutschen Bund unterstützt hatte. In der Zwischenzeit hatte er als Botschafter in Russland gedient sowie als preußischer Vertreter beim Bundestag in Frankfurt, wo er sich nunmehr gegen den Führungsanspruch Österreichs wandte. Bismarck kam nach Berlin und war bereit, die nötigen Steuern ohne Zustimmung des Parlaments einzutreiben; das war letztlich ein Verfassungsbruch, auch wenn er Justizvertreter fand, die seine Maßnahmen aus zweifelhaften Gründen billigten. Die preußischen Liberalen waren empört, doch binnen zwei Jahren gelang Bismarck ein nationaler militärischer Erfolg, als der Deutsche Bundestag auf preußisches Drängen Österreich und Preußen gemeinsam ermächtigte, den neuen dänischen König zur Rücknahme einer Nachfolgeregelung zu zwingen, die vorgesehen hatte, das deutschsprachige Herzogtum Holstein aus seiner gleichzeitigen Zugehörigkeit zum Deutschen Bund herauszulösen und es zusammen mit dem zweisprachigen Schleswig unter dänische Verwaltung zu stellen. Am Ende des kurzen Krieges musste Dänemark 1864 beide Herzogtümer an Österreich und Preußen als Vertreter des Deutschen Bundes abtreten; dieses Kondominium barg jede Menge Konfliktstoff und ermöglichte es Bismarck, zwei Jahre später einen Krieg mit Österreich zu provozieren. Mitte der 1860er Jahre erkannte Österreich richtigerweise, dass Bismarck ihm jegliche bedeutsame Rolle in den nicht-habsburgischen deutschen Gebieten nehmen wollte, und im darauffolgenden Krieg unterlagen die österreichischen Truppen den Preußen Anfang Juli 1866 in der entscheidenden Schlacht von Königgrätz. Österreich bat um Frieden, um nicht noch weitere Schlachten verlieren oder gar die Einnahme Wiens erleben zu müssen.
Bismarck verlangte keine Gebiete von den Habsburgern, sondern erzwang das Ende des Deutschen Bundes, in dem sich beide die Macht geteilt hatten. Preußen sicherte sich das Recht, die norddeutschen Staaten im sogenannten Norddeutschen Bund zu organisieren, der auch über ein Parlament verfügte. Die «Südstaaten» Bayern und Baden blieben außen vor, wurden jedoch gezwungen, ein Militärbündnis zu schließen, in dem sie im Falle eines erneuten Krieges ihre Truppen dem Kommando Berlins unterstellten. Bismarck annektierte zudem weitere Gebiete: unter anderem die wohlhabende Stadt Frankfurt und das Königreich Hannover. Seine italienischen Verbündeten bekamen das österreichische Venetien, obwohl sie eine Seeschlacht im Mittelmeer verloren hatten. Ebenso wichtig wie der außenpolitische Erfolg war die Tatsache, dass Bismarck rückwirkend die Zustimmung des Parlaments zu seinen Steuermaßnahmen und zur Truppenvergrößerung erhielt. Die Liberalen, Befürworter der aufsteigenden Nation, hatten das Gefühl, der Ministerpräsident lasse ihre Träume von 1848 wahr werden. Bei der Abstimmung waren sie geteilt in diejenigen, die bereit waren, Bismarcks Politik zu billigen – sie waren fortan als Nationalliberale bekannt, und zu ihnen gehörten unter anderem einige ambitionierte Regierungsmitglieder aus dem annektierten Hannover –, und in die kleinere Zahl derer, die ihm die Unterstützung versagten, die sogenannten Fortschrittlichen. Bismarck erwartete die rasche Vollendung der deutschen Einheit mit der Aufnahme der Staaten Bayern, Baden und Württemberg, die jetzt keinem regionalen Verbund angehörten. Doch er unterschätzte den wachsenden katholischen Widerstand gegen sein Programm. Die Katholiken hatten ihre Hochburgen im Süden sowie in den preußischen Rheinprovinzen und in Schlesien im Südosten. Sie identifizierten sich mit Österreich als dem Hüter katholischer Interessen und fürchteten den Triumph eines Staates, der mit dem Protestantismus gleichgesetzt wurde.
Doch der Ministerpräsident wusste, wie er diese Spaltungen für sich nutzen konnte: Die Feindseiligkeit der Katholiken verstärkte die Unterstützung durch die protestantischen
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