Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geschichte der Welt 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege (German Edition)

Geschichte der Welt 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege (German Edition)

Titel: Geschichte der Welt 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Osterhammel , Emily S. Rosenberg , Akira Iriye
Vom Netzwerk:
Invasion konfrontiert sah, zog er seine Schutztruppen aus Rom ab, sodass das neue Königreich die antike Hauptstadt einnehmen konnte.
    Cavour und seine engsten Mitstreiter, welche die Einigung des italienischen Staates bewerkstelligt hatten, gehörten tatsächlich der «gentry» an – es handelte sich weitgehend um betuchte Gutsherren, die den viktorianischen Liberalismus dafür bewunderten, dass er es einer sozial gesinnten Oligarchie ermöglichte, ein Land mit Hilfe eines Parlaments und einer gemäßigten Monarchie zu regieren. Die Gruppe der Einiger sollte Anfang der 1860er Jahre als Rechte ( destra ) und später als Alte Rechte ( destra storica ) bekannt werden, doch sie boten schon bald denjenigen, die sich selbst als Linke ( sinistra ) bezeichneten – Männern ebenfalls aus der Mittelschicht, die eine breitere Wählerschaft ansprechen wollten, aber eher auf die Strategie eines schrittweisen «state building» setzten –, Koalitionen und damit Privilegien an. 1852 kam es zu einer «Eheschließung», einem connubio ; 1882 sollte die Linke die Wahlen gewinnen. Anschließend lud die Linke ihre geschlagenen Widersacher von der Rechten ein, sich, wie sie selbst das schon getan hatte, in Liberale zu «verwandeln»; dieser Prozess des Verwischens und Überdeckens ideologischer Differenzen sollte die Lenkung des Staates bis ins 20. Jahrhundert hinein prägen. Dieser trasformismo hatte seinen Preis. Der italienische Staat blieb möglicherweise zu «gemütlich»; die Masse der Landbevölkerung betrachtete er als missmutige Gegner, und in den 1860er Jahren musste in Sizilien ein weit verbreiteter bäuerlicher Widerstand bekämpft werden (der brigantaggio , das Brigantentum), wobei mehr Menschen ums Leben kamen als in den Einigungskriegen. Eine großangelegte Untersuchung brachte 1874 an den Tag, wie arm die breite Masse auf dem Land in der Poebene und im Süden geblieben war. Doch die Einiger waren, vielleicht verständlicherweise, nicht zuletzt damit beschäftigt, ihren neuen Staat zu einem überlebensfähigen Mitspieler in der europäischen Großmachtpolitik zu machen. Das hieß, die Eisenbahnlinie von Nord nach Süd fertig zu stellen und über eine Armee zu verfügen – beides brachte enorme Steuern auf Getreide mit sich und traf damit in erster Linie die breite Masse der Bevölkerung. Die radikalere Linke, also diejenigen, die sich um Garibaldi und seinen Mitstreiter im Süden, Francesco Crispi, scharten, blieb bis in die 1880er Jahre außerhalb des Systems. Gleiches galt für die höheren Ränge der Aristokratie, im Norden wie im Süden: Der Schriftsteller Giuseppe Tomasi di Lampedusa hat deren quasi-feudale Welt in seinem Roman Il Gattopardo (1958) eindrucksvoll beschrieben. Und für die gläubigen Katholiken, die von ihrem Klerus instruiert wurden, sich nicht an einer Regierung zu beteiligen, die Rom erobert, Kirchengüter konfisziert und nur den Vatikan unbehelligt gelassen hatte. Bis etwa 1900 hielten sie sich von der Politik fern, ehe ihnen der Vatikan allmählich erlaubte, für die Liberalen zu stimmen und selbst «klerikale» Kandidaten aufzustellen, um die Sozialisten von der Macht fernzuhalten.

    Symbol des Nationalismus: Der «Handschlag von Teano», zu dem sich Giuseppe Garibaldi und König Viktor Emanuel II. von Savoyen am 26. Oktober 1860 nördlich von Neapel trafen. Garibaldi, ursprünglich Befürworter einer republikanischen Einigung Italiens, hatte den Bourbonenkönig dazu gezwungen, sich aus Sizilien und Neapel zurückzuziehen, erklärte sich um der Einheit willen jedoch bereit, Premierminister Camillo Benso, Graf von Cavour, und den monarchischen Rahmen für den neuen Staat unter Viktor Emanuel, der von Turin aus nach Süden ausgedehnt wurde, zu akzeptieren. Fünf Monate später wurde Viktor Emanuel zum König eines (weitgehend) geeinten Italien gekrönt.
    Im Gegensatz zum italienischen Einigungsprozess stand das, was im Norden Deutschlands geschah. Auch dort sahen der Nationalismus der Mittelschicht und preußische Beamte 1858/59 die Chance, das deutsche Banner zu hissen und sich dabei selbst an die Spitze der Bewegung zu setzen. Doch während der piemontesische Monarch eine konstitutionelle Rolle nach britischem Vorbild akzeptierte, waren die Preußenkönige an eine weit stärkere exekutive Macht gewöhnt, und ihre Identifikation mit dem Militär, das eine tragende Rolle in der Regierung spielte, war deutlich ausgeprägter. Der deutsche König wollte denn auch seine Berufsarmee stärken und die

Weitere Kostenlose Bücher