Geschichte der Welt 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege (German Edition)
konkrete Zusage von Napoleon III. oder aus London, die Frage der piemontesischen Bestrebungen, Norditalien gegen Österreich zu vereinen, aufzugreifen. Andererseits waren die Russen wütend über Wiens offenkundige Undankbarkeit. Sie mussten die Klauseln akzeptieren, die es ihnen verboten, im Schwarzen Meer wieder eine Flotte aufzubauen; die Meerengen Richtung Mittelmeer waren für russische Schiffe gesperrt. Bei einer erneuten Bedrohung würde Wien nicht mehr auf russische Hilfe zählen können. Stattdessen ging Preußens Stern auf. Angetrieben vom jungen Bismarck, wahrte Preußen strikte Neutralität und machte deutlich, dass Frankreich nicht über sein Staatsgebiet im russischen Teil Polens intervenieren dürfe.
Doch auch wenn Cavour in Paris enttäuscht wurde, waren die Ereignisse derart im Fluss, wie das nur einmal in jeder Generation vorkommt. Binnen drei Jahren sollte sich Napoleon mit dem Königreich Piemont-Sardinien verbünden. Der Kaiser wollte für seinen Cousin und Erben eine dynastische Ehe mit der Prinzessin von Savoyen. Der Bräutigam, Prinz Napoleon, war wenig attraktiv und stumpfsinnig; König Viktor Emanuel II. wollte seine Tochter nicht zur Heirat zwingen, doch sie akzeptierte ihre patriotische Pflicht. Zudem warf ein versuchtes Attentat auf den Kaiser durch einen italienischen Revolutionär, der offenkundig ob des Widerstands gegen die Einigung Italiens frustriert war, Fragen der persönlichen Sicherheit auf. Anfang 1859 provozierte Frankreich Österreich zum Krieg. Die beiden größten Schlachten, die von Magenta und die von Solferino, waren blutige Konfrontationen, die andeuteten, wie die neue Art der Kriegsführung aussah. Napoleon schloss rasch Frieden; die Österreicher traten die Lombardei (die Gegend um Mailand) an Paris ab, das sie an Italien zurückgab. Venetien sollte bis 1866 österreichisch bleiben, als es infolge des preußischen Sieges über Österreich an Italien fiel. Im Gegenzug überließ das Königreich Piemont-Sardinien die Region um Nizza und die Gegend um den Genfer See, die Teil seines Territoriums gewesen waren, den Franzosen. Doch Cavour bekam noch mehr als die Lombardei. Zu dieser Zeit organisierten die propiemontesischen Liberalen – begüterte Männer, gesellschaftlich konservativ, aber üblicherweise liberale Verfechter parlamentarischer Politik – eine Einigungsbewegung in sämtlichen Kleinstaaten der Poebene und Mittelitaliens, und eine ganze Welle von Plebisziten billigte die Vereinigung dieser Staaten mit Piemont-Sardinien zu einem neuen Königreich Italien. Die Truppen Napoleons III. verhinderten noch die Annexion der Region um Rom, auch wenn sich die zum Kirchenstaat gehörende Provinz Bologna Italien ebenso anschloss wie die Toskana.
Karte 1: Der Vormarsch des modernen Nationalstaates am Beispiel Italiens, 1818–1870
Nachdem der französisch-österreichische Frieden geschlossen war, blieb als große Frage das Schicksal des Königreichs beider Sizilien, das heißt des Königreichs von Neapel, das den gesamten Süden Italiens und Sizilien umfasste. Die neapolitanischen Bourbonen waren nach der kurzen Revolution von 1848 wieder auf den Thron gelangt; jetzt aber, 1860, sollten sie einer neuen Revolution endgültig zum Opfer fallen, die vom republikanischen Anführer Garibaldi und seinem «Zug der Tausend» unterstützt wurde. Die Frage war: Würden die Revolutionsführer in Sizilien und Neapel die Region mit dem Norden vereinen? Das Piemont Cavours war ein Verfassungsstaat, allerdings mit eingeschränktem Wahlrecht und eindeutig konservativ – Garibaldi und seine Mitstreiter fassten eine Zeit lang eine radikale Republik im Süden ins Auge, welche die Grundbesitzer mit ihren «Feudalprivilegien» und Loyalitäten vertreiben würde. Doch Garibaldi beschloss, die Kontrolle zugunsten eines größeren Italien abzugeben, und Anfang 1861 wurde der König von Piemont-Sardinien zum Monarchen eines geeinten Italien. Venetien kam 1866 dazu, die Region und Stadt Rom 1870, die nördlichen Gegenden Trient, Bozen und Triest erst 1918. Garibaldi sollte im Parlament von Turin bitter enttäuscht werden, verurteilte aufs Schärfste die Abtretung von Nizza und griff erbittert Cavour an, der, obwohl erst Mitte fünfzig, krank war und bald sterben sollte. In den 1860er Jahren versuchte Garibaldi mehrmals, auf römisches Territorium vorzudringen, wurde aber jedes Mal von französischen und päpstlichen Truppen daran gehindert. Erst als Napoleon sich 1870 mit der preußischen
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