Geschichte der Welt 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege (German Edition)
Liberalen noch, und binnen weniger Jahre war der Mann an der Spitze Preußens bereit, ein drittes militärisches Abenteuer zu wagen, diesmal in Gestalt eines riskanten Krieges gegen das Frankreich Napoleons III. Bismarck nutzte verschiedene Themen geschickt aus und ließ damit Napoleon als einen Feind erscheinen, der entschlossen war, die deutsche Einigung zu blockieren, und sich auf konspirativem Wege das Herzogtum Luxemburg sichern wollte. Der französische Kaiser sah sich zu Hause wachsendem Widerstand gegenüber und glaubte, es sich nicht leisten zu können, schwach und unentschlossen zu erscheinen. Als Vorwand für einen Krieg fand sich ein Streit um die spanische Politik. Spanien erlebte Ende der 1860er Jahre eine Revolution und ein kurzes Experiment mit einer radikal dezentralisierten Republik – ein politisches Experiment, das im Widerspruch zu den Tendenzen der Zentralisierung von Macht stand, die überall sonst zu beobachten waren. Der General, der eingriff, um die Revolution rückgängig zu machen, wollte wieder eine Monarchie einführen, und nachdem er die europäischen Königshäuser nach möglichen Kandidaten abgeklappert hatte, lud er einen katholischen Vertreter der Hohenzollern ein, für die Königskrone zu kandidieren. Dagegen erhoben die Franzosen Einwände; die preußische Königsfamilie war bereit, das Projekt zu begraben, doch Bismarck veröffentlichte eine von ihm verschärfte Abschrift der Gespräche – die so genannte Emser Depesche –, die in Preußen nationale Empfindungen weckte und den französischen Kaiserhof verärgerte.
Angestachelt von den Falken in Paris (denen seine Frau nahestand), erklärte Napoleon III. Preußen den Krieg – und erlitt zum Erstaunen der europäischen Beobachter eine verheerende Niederlage. Ein französischer General verlor die wichtige Festung Metz, der Kaiser selbst musste am 2. September 1870 bei Sedan kapitulieren. Die republikanische Opposition in Paris erklärte das Regime für beendet und installierte de facto eine neue Regierung aus Republikanern, Bourbonen-Monarchisten und Anhängern des Kaisers, der sich nun in preußischer Gefangenschaft befand und ins Exil nach London gehen durfte. Als preußische Truppen Richtung Paris vorrückten, erhob sich die Stadt gegen das neue Parlament, das in Versailles zusammenkam, und installierte für wenige Monate eine revolutionäre Kommune. Die Versammlung mit Adolphe Thiers an der Spitze, einem konservativen Republikaner, handelte einen Friedensvertrag mit Preußen aus: Frankreich musste Kriegsentschädigungen leisten (die schon bald gezahlt wurden) und verlor die Grenzprovinzen Elsass und Lothringen, die Deutschland bis zu seiner Niederlage im Ersten Weltkrieg 48 Jahre später behalten sollte. Die Pariser Kommune wurde belagert, sodass sie im Winter 1871 schwer unter Kälte und Hunger zu leiden hatte, bis die Regierung die Stadt wieder zurückeroberte und Tausende Kommunarden hinrichten ließ oder ins Exil nach Neukaledonien schickte. Erst fünf Jahre später sollte die provisorische Regierung formell anerkennen, dass Frankreich eine Republik war mit einem Präsidenten an der Spitze der Exekutive (der keine wirkliche Macht besaß) und einer Nationalversammlung, die das Land mit Hilfe eines Beamtenapparats regierte.
Bismarck aber wusste den Sieg und die in Deutschland entfachte nationale Begeisterung zu nutzen. Die Staaten im Süden waren durch Allianzen, die nach 1866 vereinbart worden waren, mit Preußen verbunden. Im Januar 1871 stimmten die deutschen Parlamentarier, die im Schloss Versailles an einer großen Siegesfeier teilnahmen, dafür, dass der König von Preußen zugleich «Deutscher Kaiser» werden sollte. Im Wesentlichen bediente sich Bismarck der Institutionen, die er 1867 für den als Interimslösung gedachten Norddeutschen Bund entworfen hatte, nun aber unter Hinzunahme der süddeutschen Staaten. Die Regierungsstruktur, die sich daraus ergab, war ein Kompromiss und ein Amalgam aus Volks- und Exekutivinstrumenten. Preußen und die anderen Staaten behielten ihre Landtage. Der preußische Ministerpräsident wurde zum Reichskanzler. Er trat als einzig verantwortlicher Reichsminister vor das Parlament; es gab keine kollektive Kabinettsverantwortung wie in Großbritannien, und der Kanzler hatte seine Macht denn auch von Kaisers Gnaden. Die Kriegsminister waren unter den Ministern besonders wichtig (wie das auch in Japan der Fall sein sollte), und über den Militärhaushalt wurde nur alle sieben Jahre
Weitere Kostenlose Bücher