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Geschichte der Welt 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege (German Edition)

Geschichte der Welt 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege (German Edition)

Titel: Geschichte der Welt 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Osterhammel , Emily S. Rosenberg , Akira Iriye
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Großbritannien gelang die Modernisierung letztlich, ohne die Balance zwischen Staat und Gesellschaft radikal verändern zu müssen; in Russland blieben der Staat mächtig und seine Vertreter konservativ genug, sodass die Modernisierung sich langsam vollzog. Doch all diese Staaten befanden sich 1870 auf einem neuen Entwicklungspfad, und Gleiches galt für ihr geistiges und kulturelles Erbe. Angesichts dieser Transformationen durfte man erwarten, dass sich der Herrschafts- und Kontrolldruck in den kolonialen Peripherien deutlich erhöhte und die Kontrollinstrumente zu Hause noch stärker auf Wissenschaft und Messung, Stahl, Dampf und Kommunikation setzten. Das Ganze sollte gleichzeitig effektiv und elegant, enorm innovativ und sachlich sein.
    Und doch offenbarten die 1870er Jahre eine Ansammlung von Staaten, die noch immer in ihren institutionellen und ideologischen Transformationen befangen waren. Einige blieben Geiseln ihrer anhaltenden multikulturellen Spaltungen. Die alten Großreiche – Österreich-Ungarn, das Osmanische Reich und in geringerem Maße Russland – mussten ihre ethnische oder religiöse Vielfalt ausbalancieren, während sie versuchten, sich für den harten internationalen Konkurrenzkampf zu modernisieren, der sie seit dem Ende des 18. Jahrhunderts bedrohte. Das einst florierende Mogulreich war 1858 von seinen gleichgültigen Fürsten und den britischen Widersachern, die sich nach dem Zusammenbruch des indischen Aufstands beharrlich ausbreiteten, endgültig zerstört worden. Der sogenannte Raj – der 1876 offiziell zum Kaiserreich Indien unter der «Queen-Empress» Victoria wurde – hielt es für zweckmäßig, seinen territorialen Flickenteppich und seine verschiedenen Gemeinschaften beizubehalten, darunter auch die annähernd 500 Fürstenstaaten, die neben den direkt verwalteten Provinzen und anderen Zuständigkeitsbereichen, welche in London von einem Indienminister und von Kalkutta aus vom Generalgouverneur oder Vizekönig verwaltet wurden, bestehen blieben. Der Mandschu-Staat mit seiner «allogenen» Dynastie konnte schwerlich einen uneingeschränkten chinesischen Nationalismus vertreten, doch seine loyalen Beamten glaubten, auf den Klassikern basierende konfuzianische Traditionen und eine rechtschaffene Gentry seien zu wenig, um ein Reformprogramm erfolgreich umzusetzen. Die Deutschen und die Japaner erkannten offenbar, dass sie die nominellen Insignien von Großreichen behalten konnten, wenn sie das imperiale Vermächtnis in eine effiziente militärische und bürokratische Regierung umwandelten. Und umgekehrt begriffen Länder, die selbst der Form nach demokratisch waren, dass die Machtwährung in der Staatenwelt darin bestand, im Ausland ein Imperium aufzubauen.
    Historiker haben die gewaltsamen Konfrontationen zwischen hochgradig organisierten Staaten stets als Gegenstand der traditionellen Diplomatiegeschichte behandelt. Doch die streitsüchtige Welt rivalisierender Staaten war auch vereint in ihrem Druck auf die fragmentierten und entlegenen Gemeinschaften an ihren Rändern, die sie als Hindernis für Fortschritt und Zivilisation betrachtete. An den Rändern von Imperien und großen Staaten versuchten sich alternative Gemeinschaften zu behaupten. Sie waren oft furchtbar arm, lebten mitunter in symbiotischer Beziehung mit ihren Tieren und erneuerten regelmäßig die Religionen des Imperiums – ganz gleich, ob christlich, muslimisch oder hinduistisch – durch die Stimmen lokaler Propheten, andersdenkender Priester und asketischer Sufimystiker und Heiler. Sie waren Übriggebliebene, aber beharrliche Überbleibsel – die Maya im Grenzland von Yucatán, die vaqueiros oder Viehzüchter im Buschland im Nordosten Brasiliens, dem Sertão, die sich dem Vordringen der neuen Republik 1896 widersetzten, die Indianerstämme in Nordamerika, die langsam in den Reservaten zusammengepfercht wurden, die Zigeuner in Andalusien und Rumänien, die Tschetschenen im Kaukasus, die Paschtunen an der Nordwestgrenze des Raj und andere Gesellschaften Zentralasiens, die Stämme im birmanischen Hochland, die Uiguren in Xinjiang und unzählige andere Völker. Einige wurden schon in den 1820er und 1830er Jahren weitgehend ausgerottet wie etwa die Tasmanier, andere später wie die Indios in Patagonien in den 1880er Jahren, wieder andere wurden Anfang des 20. Jahrhunderts weitgehend vernichtet wie etwa die Herero in Deutsch-Südwestafrika – wie das schon bei der früheren Ausweitung der Überseeimperien nach 1500

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