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Geschichte der Welt 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege (German Edition)

Geschichte der Welt 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege (German Edition)

Titel: Geschichte der Welt 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Osterhammel , Emily S. Rosenberg , Akira Iriye
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älteren liberalen Institutionen. Mussolinis Titel lautete weiterhin «Regierungschef» ( Capo del Governo ), auch wenn er inoffiziell als «Duce» firmierte. Der König blieb Staatsoberhaupt und machte schließlich auch von seinem Vorrecht Gebrauch, als er Mussolini im Sommer 1943 entließ, weil die enge Bindung an Hitler im Zweiten Weltkrieg die Gefahr einer verheerenden Invasion der Alliierten heraufbeschwor. Um seine eigene Position in Italien Ende der 1920er Jahre zu festigen, nahm Mussolini allerdings von den säkularen Forderungen des liberalen italienischen Staates Abstand und unterzeichnete 1929 die Lateran-Verträge mit dem Vatikan; sie sahen vor, dass die Kirche wieder die Kontrolle über die Ehe erhielt, dass in den Klassenzimmern Kruzifixe zu hängen hatten und dass der Vatikan als souveräner Kleinstaat anerkannt wurde. In den 1930er Jahren konnte Mussolini mit einigem Stolz darauf verweisen, zu Hause einen gewissen «Konsens» erreicht zu haben. Politische Gegner gingen ins Exil oder mussten, wenn sie zu Hause verhaftet wurden, zur Strafe in entlegenen Dörfern im Süden residieren («confino» oder Verbannung). Es gab lediglich eine Handvoll Hinrichtungen, die weitgehend wegen versuchten Mordes verhängt wurden. Die meiste Gewalt – Schlägereien, manche mit tödlichem Ausgang, Rizinusöl, die Verwüstung der Büros von Sozialisten und Gewerkschaften – fand in den inoffiziellen Zusammenstößen auf dem Weg zur Macht statt. Francos Militärdiktatur nach der Machtergreifung, später die argentinischen Generäle und General Pinochet in Chile sollten eine weitaus blutigere Spur hinterlassen mit Verhaftungen, Folter und Morden, die in die Zehntausende gingen.
    Doch diese Maßnahmen wurden als notstandsbedingte Eingriffe dargestellt. Die Faschisten behaupteten, ihre Mission sei es nicht nur, die Kommunisten zu besiegen, sondern auch als Verwalter einer ganzen historischen Epoche zu regieren: Die Nationalsozialisten sprachen vom angeblich Tausendjährigen Reich. Der Faschismus sollte gewissermaßen die Menschheitsgeschichte erfüllen, und zwar auf eine Weise, wie das liberaler Individualismus und Parteienpluralismus niemals vermochten. Der Faschismus, so ließ der Rechtsphilosoph Alfredo Rocco wissen, korrigiere die fürchterlich falsche Wendung, welche die Geschichte 1789 genommen habe, als die Französische Revolution die Menschen- und Bürgerrechte verankerte. Doch er lehnte die Demokratie nicht einfach nur im Namen der Tradition und der Monarchie ab, wie das etwa rechte autoritäre Gruppierungen wie die Action Française in Frankreich taten. Der Faschismus war nicht bloß reaktionär, sondern auch dazu gedacht, ein neues historisches Stadium einzuläuten, das Mussolini – mit einem Begriff, den er von seinen Kritikern Anfang der 1920er Jahre übernahm – zu einem besonderen Verdienst erklärte: Es sollte «totalitär» sein.
    Die faschistische Doktrin hatte sich seit Mussolinis Forderung nach einer revolutionären Erneuerung 1919 deutlich weiterentwickelt: Jetzt präsentierte sich der Faschismus als Regime, das wieder einen Staat etablierte, der über individuellen oder gar gruppenspezifischen Interessen stand. Inwiefern unterscheidet sich der faschistische vom liberalen Staat, fragte Rocco rhetorisch: «Der faschistische Staat ist der Staat, der die Macht und den Zusammenhalt der rechtlichen Organisation von Gesellschaft so weit wie nur möglich verwirklicht. Und Gesellschaft ist nach faschistischer Vorstellung nicht nur die Summe Einzelner, sondern ein Organismus mit eigenem Leben und Zielen, die über diejenigen der Individuen hinausgehen, ein Organismus, der einen eigenen geistigen und historischen Wert besitzt. Auch der Staat […] ist ein Organismus, der sich von den Bürgern unterscheidet, aus denen er sich in jedem Moment zusammensetzt. Er besitzt sein eigenes Leben und seine eigene Zielsetzungen, die denen der einzelnen Menschen überlegen sind und denen alle anderen Ziele untergeordnet werden müssen.» Mussolini formulierte das in einem Beitrag für die maßgebliche Enciclopedia Treccani 1932 so: «Für den Faschisten ist alles im Staat vorhanden, und außerhalb des Staates gibt es nichts Menschliches oder Geistiges – oder kann gar einen Wert haben.»[ 163 ]
    Männer und Frauen verwirklichten ihr Potential nicht als Individuen mit unveräußerlichen Rechten, sondern als Angehörige einer Nation und als Untertanen eines Staates mit Verpflichtungen und Aufgaben, zu denen auch der Dienst

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