Geschichte der Welt 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege (German Edition)
in der Armee gehörte. Politik war eine Form von Krieg, aber dazu gedacht, auf den Krieg vorzubereiten: lieber für einen Tag ein Löwe als ein Jahr lang ein Schakal. Mussolini präsentierte sich immer wieder gern als Mann des Friedens, doch die Ideologie war eng mit militärischen Tugenden verknüpft. Er griff im Streit mit Griechenland um die Inselgruppe Dodekanes zur Gewalt und brach 1935/36 einen Krieg mit Abessinien vom Zaun, in dem er Luftangriffe und Giftgas einsetzte. Er ließ 1937 gegenüber Albanien die Muskeln spielen und erklärte, nachdem er sich auf die Seite Hitlers geschlagen hatte, mit der Besetzung von Nizza 1940 Frankreich den Krieg.
In der Praxis war der Staat keineswegs totalitär im Sinne einer unablässigen, durchdringenden Kontrolle mittels Terror, wie sie spätere Forscher als wesentliches Merkmal des Totalitarismus postulierten. Die Kirche war weiter mit offizieller Erlaubnis präsent – mit Kruzifixen in jedem Klassenzimmer –, auch wenn die Partei ihre Jugendorganisation, die Azione Cattolica, zu untergraben versuchte. Die Familie wurde glorifiziert, und die Partei forderte dazu auf, dem Duce Kinder zu gebären, doch die Familie war auch ein Hort des Widerstands gegen staatliche Ansprüche.
Spätere Apologeten machten sich über die Heuchelei des Duce und seines Regimes lustig, indem sie den Faschismus als eine Art opera buffa darstellten, die zwar geschmacklos, aber nicht wirklich ernst zu nehmen gewesen sei. Eine solche Sicht unterschätzt jedoch die Neuartigkeit des Faschismus, seine Brutalität auf dem Weg zur Macht, seine Entschlossenheit, all jene zum Schweigen zu bringen, die anderer Meinung waren. Wie bei den prächtigen Barockbauten Roms war auch für die faschistische Politik die Fassade entscheidend – doch wie im Falle der Gebäude hatte auch der faschistische Bombast etwas Authentisches an sich.[ 164 ]
Das italienische Modell war einflussreich und sollte Nachahmer finden. 1923 setzte der spanische Monarch General Miguel Primo de Rivera als Diktator ein und nannte ihn «meinen Mussolini», doch stand er eher in der Tradition der starken Männer des 19. Jahrhunderts, denen jegliche ideologische Ambition fehlte. In Argentinien übernahm das Militär 1930 die Macht, und der dortige starke Mann der Armee, General José Félix Uriburu, kam den faschistischen Forderungen nach einer transzendenten Führerschaft und nach einer autoritär-nationalistischen Bewegung schon näher.[ 165 ] Dauerhafter war die Macht, die der zivile politische Führer Getúlio Vargas im gleichen Jahr in Brasilien errang. Er schuf einen «neuen Staat» mit autoritär-korporatistischen Institutionen, ehe er 1945 aus dem Amt vertrieben wurde, als der Faschismus überall auf der Welt am Ende zu sein schien; doch 1950 wurde er zum Präsidenten gewählt und regierte bis 1954 als nationalistischer Diktator. Als sein Sturz drohte, nahm er sich das Leben. António de Oliveira Salazar übernahm die portugiesische Republik als Diktator und stand bis 1968 an der Spitze seines «neuen Staates», der einen katholischen autoritären Korporatismus pflegte, hartnäckig an den Kolonien des Landes festhielt und Mitglied der NATO wurde.
Die Spielart des Faschismus, die in Deutschland an die Macht kam, unterschied sich in entscheidenden Aspekten. Hitler verstand, welche Art von Macht Mussolini im Sinn hatte, und übernahm wie er die paramilitärische Uniform – die Stiefel, die farbigen Hemden – und die paramilitärische Organisation. Aus seinem gescheiterten Putschversuch 1923 hatte er gelernt: So zerrissen die Weimarer Republik auch sein mochte, solange die Armee das Recht durchsetzte, konnte er nicht gewaltsam an die Macht kommen. In den Jahren der wirtschaftlichen Stabilisierung von 1924 bis 1929 schien seine Bewegung dazu bestimmt, von der Bildfläche zu verschwinden, doch die ökonomischen Schwierigkeiten (und die Hetzkampagne Ende der 1920er Jahre gegen einen revidierten Reparationsplan, den so genannten Young-Plan) sorgten dafür, dass die Stimmenzahl für die Nationalsozialisten lokal anwuchs, noch ehe die Weltwirtschaftskrise 1929/30 Wirkung zeigte. Wie Mussolini wetterte Hitler gegen das System und höhnte über die Meinungsverschiedenheiten zwischen den Parteien, die nur zu schwerfälligen Kompromissen in der Sozial-, Außen- und Rüstungspolitik führten. Das Verhältniswahlrecht brachte es mit sich, dass das italienische Nachkriegsparlament und der Weimarer Reichstag parteipolitisch völlig zersplittert
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