Geschichte des Gens
blockiert ist, und zweitens über die Möglichkeit, diese Stämme miteinander zu kreuzen.
Dabei entsteht folgende Alternative: Entweder zeigen sich in der Nachkommenschaft zweier Mutanten Pilze, die das fehlende Vitamin wieder herstellen (wie der Wildtyp), oder es treten Pilze auf, die wie ihre Eltern auf Zufuhr von außen angewiesen bleiben. Die Wissenschaftler sprechen dabei von einem »Cistrans-Test«, der ihnen sagt, ob in den beiden gekreuzten Mutanten ein und dasselbe Gen betroffen ist - ausgedrückt durch das lateinische Wort eis für diesseits - oder ob in den zwei Mutanten zwei verschiedene Gene ver-ändert sind, ob also die eine Variation jenseits - trans - der anderen liegt. Wenn die Kreuzung zweier Varianten den Wildtyp zurückbringt, konnten sich die veränderten Gene gegenseitig ersetzen - damit waren zwei Gene mutiert-, wenn dies nicht der Fall ist, war kein Ausgleich möglich und also in beiden Organismen ein und dasselbe Gen außer Gefecht gesetzt. In den Lehrbüchern findet man dieses Verfahren auch unter dem Stichwort der Komplementationsanalyse beschrieben, weil im Experiment danach gefragt wird, ob sich Mutationen gegenseitig ergänzen oder nicht.
Klar ist, dass Beadle und Tatum mit ihren Versuchen auf dem Weg waren, die Wissenschaften der Biochemie und der Genetik zu vereinen, und sie waren erfolgreich, weil sie viele Mutanten finden konnten, die in einem Gen defekt waren -festgestellt durch eine genetische Kreuzung mit zugehöriger Komplementationsanalyse - und deren Stoffwechsel an genau einer Stelle steckenblieb - festgestellt durch eine biochemische Analyse. Aus einem Gen also musste - und konnte vor allem - ein Enzym entstehen, wie man zwar spätestens 1941 wusste, aber erst nach 1953 weidlich nutzen konnte.
Das Ergebnis von Beadle und Tatum bringt mindestens drei dramatische Konsequenzen mit sich, die wir im Folgenden schildern wollen, aber nicht ohne vorher sachte und nachdrücklich zugleich auf die Tatsache hinzuweisen, dass in vielen Fällen nicht stimmt, was die Hypothese ausdrückt. Der Grund dafür steckt in den Proteinen, die man sich damals als einheitliche Gebilde, das heißt als eine Kette von Aminosäuren vorgestellt hat. Heute weiß man, dass sich viele Proteine aus zwei, drei oder vier Ketten von Aminosäuren zusammensetzen, weshalb man genauer sagen müsste, dass ein Gen für eine Kette von Aminosäuren sorgt. Das Experiment von Beadle und Tatum hat trotzdem funktioniert, weil ein defektes Teilstück eines Enzyms die Wirksamkeit des ganzen Moleküls in Mitleidenschaft zieht. Mit dieser Einschränkung stimmt dann immer noch cum grano salis, dass ein Gen etwas mit einem Enzym zu tun hat.
Beadle und Tatum haben mit ihrem Pilz für die Vitaminsynthese erkundet, was Garrod Jahrzehnte zuvor für den Metabolismus des Menschen vermutet hatte. Anders ausgedrückt, die Genetik scheint universell gültig zu sein. Wenn man zum Beispiel in unseren Zellen den Stoffwechsel betrachtet, an dem die Aminosäuren mit Namen Phenylalanin und Tyrosin beteiligt sind (Abbildung 10), dann lassen sich inzwischen die Stellen angeben, deren Blockierung zu Erbkrankheiten bei Menschen führt. Die Blockierung bei 1 führt zu einer Erkrankung namens Phenylketonurie, die Unterbrechung bei 2 führt zum Albinismus, ein Defekt bei 3 führt zur Tyrosinämie und ein Hängenbleiben bei 4 führt zu der Alkaptonurie, die Garrod schon um 1900 untersucht hat. In allen Fällen ist ein einziges verändertes Gen die Ursache.
Die Einsicht von Beadle und Tatum verband aber nicht nur Gene und Proteine auf der einen und Pilze und Menschen auf der anderen Seite. Sie schuf auch die Möglichkeit, Wissenschaft und Wirtschaft zu verbinden, und hier ergab sich bald eine weitere Konsequenz. Denn was die beiden Biologen als reine genetisch und biochemisch orientierte Grundlagenforschung begonnen hatten, zeigte sehr bald konkrete Auswirkungen und praktische Anwendungsmöglichkeiten. Die von ihnen isolierten Mutanten konnten zum Beispiel genutzt werden, um den Vitamingehalt von Nahrung zu prüfen und zu bestimmen. Tatsächlich wurde dieser Test bald in der Lebensmittelproduktion verwendet, mit dem nicht unwesentlichen Nebenergebnis, dass die biochemisch orientierte Genetik sehr bald und sehr reichlich von der »Nutrition Foundation« und der dahinterstehenden Nahrungsmittelindustrie gefördert wurde.
Die für uns wichtigste Konsequenz aus der Verknüpfung von Genen und Enzymen ergab sich 1953 in der Universitätsstadt Cambridge,
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