Geschichte des Gens
biologischer Befehls- und Kontrollgewalt darstellte«.
Es sollte nicht übersehen werden, dass der zentrale Begriff des genetischen Codes ein deutliches Relikt der Zeit darstellt, in der an seiner Aufklärung gearbeitet wurde. Bei einem Code denkt man zunächst an eine Geheimschrift, die von einem Gegner benutzt wurde und die es zu entschlüsseln galt, um seine Macht zu brechen. Militä-rische Codes waren selbstverständlich Transformationsregeln (Verschlüsselungen), die von konkreten Menschen mit einem konkreten Ziel gemacht worden waren. Der genetische Code ist dies zwar gerade nicht, er wird aber bis heute von der Wissenschaft und der öffentlichkeit so behandelt, weshalb es uns immer noch leicht von den Lippen geht, von der Entschlüsselung irgendeiner genetischen Information zu sprechen (was sinnlos ist). Vielleicht schleppen wir da tatsächlich ein merkwürdiges Erbe des Kalten Krieges mit uns herum, das wahrscheinlich auf absehbare Zeit wenig Chancen hat, aus den Köpfen zu verschwinden.
Das Konzept der genetischen Information und der Erfolg, der mit der Aufdeckung des genetischen Codes gefeiert werden konnte, haben in den folgenden Jahrzehnten das Denken vieler Molekularbiologen dominiert, und nicht wenige sehen bis heute damit das Rätsel der Gene gelöst: Gene kodieren Proteine, und Proteine gehen ausreichende Wechselwirkungen miteinander ein, um so die Organismen aufbauen zu können. Allerdings werden Proteine gebraucht, damit ein Gen überhaupt ein Protein produzieren kann, und somit verdunkelt die berühmte Frage nach Henne oder Ei das scheinbar so helle biochemische Bild des genetischen Spiels (Irrtümer) .
Zu den uralten Weisheitslehren Chinas gehört die Einsicht, dass eine Sache dann einfach erscheint, wenn man weit genug von ihr entfernt ist. Oder anders formuliert: Je näher man der Wirklichkeit kommt, desto weniger sichtbar wird sie. Die Ein-Gen-ein-Enzym-Hypothese ist ein Blick aus der Ferne, der tatsächlich an Klarheit einbüßte, als man den Genen immer näher kam, und zwar so nah, dass man einzelne Bausteine unterscheiden konnte. Dies gelang dem amerikanischen Genetiker Seymor Benzer in der Mitte der fünfziger Jahre mit Versuchen an Bakteriophagen. Sie zeigten, dass die biochemisch gedachte Einheit der Mutation und Rekombination sehr viel kleiner war als die genetisch konzipierte Einheit der Vererbung. Diese Unterscheidungsmöglichkeit verleitete Benzer zu dem Vorschlag, den Begriff des Gens aufzugeben und durch die korrekter fassbaren Ausdrücke Cistron (als Einheit der Vererbung gemessen in einem Cistrans-Test), Recon (als Einheit der Rekombination) und Muton (als Einheit der Mutation) zu ersetzen.
Es braucht nicht betont zu werden, dass Benzers Bemühen um wissenschaftliche Präzision die Gefolgschaft verweigert wurde. Es sollte allerdings gefragt werden, warum sein Vorstoß überhaupt keine Akzeptanz gefunden hat. Dies ist deshalb von Interesse, weil sich der Vorgang ein halbes Jahrhundert später wiederholte, als Stephen J. Gould und Jürgen Brosius versuchten, das »Gen« durch den Begriff »Nuon« zu ersetzen. Diese Wortschöpfung geht von der konkret fassbareh Tatsache aus, dass Gene aus Nukleinsäuren bestehen, und seine Schöpfer wollten von dieser Basis aus gewisse Unterscheidungen einführen. So sollten zum Beispiel DNA-Sequenzen, die eine evolutionäre Geschichte hinter sich haben, anders bezeichnet werden als DNA-Sequenzen, für die dies nicht der Fall war. Auch dieser Versuch, das Gen zu ersetzen, ist kaum beachtet worden, obwohl er ähnlich gut auf experimenteller Evidenz basierte wie seinerzeit Benzers Aufteilung in die drei genetischen Einheiten Cistron, Recon und Muton.
Zur der Zeit, in der Benzer mit seinen genetischen Experimenten klären wollte, was ein Gen ist und kann, machten sich die Biochemiker an die Aufgabe, die einzelnen Schritte zu erkunden, mit denen eine Zelle den Weg von einem Gen - verstanden als DNA-Molekül -zu einem Protein zurücklegt. Alle gingen dabei von der klaren Vorstellung aus, dass die Reihenfolge der DNA-Bausteine sowohl die Art der Aminosäuren festlegt, die in einem Protein vorhanden sind, als auch deren Reihenfolge. Wie erwähnt, wurde bereits 1953 vorgeschlagen, dass es dazu eines Zwischenträgers der Information bedarf, und als Kandidat für diese Aufgabe wurde die der DNA verwandte Substanz mit Namen RNA ins Spiel gebracht: Alexander Dounce machte den damals noch nicht experimentell abgesicherten Vorschlag, dass die DNA zur
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