Geschichte des Gens
bedeuteten, und dachte eher daran, dass etwas mit dem Experiment nicht funktioniert hat. Es dauerte einige Zeit, bevor sich die ersten Molekulargenetiker mit ihrer schon angekündigten Entdeckung von Genstücken an die Öffentlichkeit wagten: In einem Strukturgen - so der damals umwerfende wissenschaftliche Befund, der heute längst zum Lehrbuchwissen geworden ist und sich für nahezu alle (eukaryontischen) Gene in mehrzelligen (»höheren«) Lebewesen als gültig erwiesen hat -werden Abschnitte, in denen die Informationen über die Reihenfolge der Aminosäuren eines Proteins stecken, von Abschnitten unterbrochen, die keine solche Information enthalten (Abbildung 13). In der Zwischenzeit hat sich der Sprachgebrauch eingebürgert, die informativen DNA-Abschnitte als »kodierende DNA« zu bezeichnen. So lässt sich sagen, dass Gene in höheren Organismen aus kodierenden und nichtkodierenden Stücken bestehen. Zur allgemeinen Überraschung der Fachwelt wurde entdeckt, dass die kodierenden Abschnitte zum Teil sehr viel kürzer als die nichtkodierenden waren, was die (nach wie vor unbeantwortete) Frage nach ihrer Funktion nur dringender macht.
Abb.13: Ein typisches Gen in der Zelle eines eukaryontischen Organismus
Wer heute ein typisches Gen zeichnen will, wie es in der Zelle eines eukaryontischen Organismus zu finden ist, muss neben dem Mosaik mit all seinen genetischen Steinchen noch andere Elemente berücksichtigen, die der Regulation dienen. Einige von ihnen sind in der Abbildung enthalten, ohne dass sie hier näher beschrieben werden. Darüber hinaus gibt es noch mehr DNA-Elemente, die sich auf ein Gen auswirken und daher vielleicht zu ihm gehören. Ein Beispiel stellen so genannte Enhancer oder Verstärker dar. Die damit bezeichneten DNA-Sequenzen sorgen für die vermehrte Expression eines Gens, das gar nicht in der Nähe seines Enhancers zu liegen braucht. Dabei ist anzunehmen, dass die Natur über die hier geschilderten Regulationsmöglichkeiten noch andere erfunden hat, die von der Wissenschaft erst noch entdeckt werden müssen.
Kurz nach der Einsicht in die zerstückelte Seinsweise der Gene bekamen die beobachteten Tatbestände zugleich wissenschaftlich klingende und einprägsame Namen: Eine kodierende Sequenz, die exprimiert wird, heißt aus diesem Grunde Exon, und eine nicht-kodierende Sequenz heißt Intron, und das Gen, das sich als Exon-Intron-Folge darstellt, nennt man Mosaikgen.
Für den Weg von einem Mosaikgen zum Protein respektive zu der dazugehörigen Polypeptidkette reichten jetzt nicht mehr die beiden Stufen der Transkription und Translation. Es gilt nun darüber hinaus, die Intronsequenzen zu entfernen, und dies geschieht nach Anfertigung eines primären Transkripts auf der Ebene der RNA-Moleküle in einem Vorgang, den die Biochemiker nach einer Vorgabe aus der Technik Spleißen nennen. Damit ist das Ausschneiden von Teilstü-cken gemeint, dem ein Zusammenschweißen der Teile zu einem Ganzen folgt. Dieses Ganze ist im Fall der Proteinsynthese die mRNA, die jetzt viel weniger Bausteine umfasst als die DNA, von der aus das Botenmolekül angefertigt worden ist.
Mit den neuen Einsichten kamen neue Unklarheiten: Warum gibt es Gene in Stücken? Warum tragen die Zellen höherer Organismen Mosaikgene? Gab es im Verlauf der Evolution zuerst Gene mit einer Exon-Intron-Struktur, die dann im Laufe der Zeit verschwunden ist? Oder gab es sie zunächst ohne diese Aufteilung, wie sie bis heute etwa in Bakterien zu finden sind, um dann im Laufe der Evolution all die Zwischenräume anzuschaffen, die jetzt mit Hilfe der Gentechnik erkennbar werden?
Fragen über Fragen stürzten nach der Entdeckung dieser merkwürdigen Zergliederung auf die Biowissenschaftler ein, und viele von ihnen sind nach wie vor offen. Dies gilt auch für eine Frage, die beim ersten Hören sehr ketzerisch klingt, die aber trotzdem ihre Berechtigung hat. Die Frage lautet, ob überhaupt noch von einem Gen oder von Genen die Rede sein kann, wenn sich in einer Zelle nur die Stü-cke finden lassen, die wir Exon und Intron nennen. Wie weit können wir noch gehen, um die alte »Ein-Gen-ein-Enzym-ldee« zu retten, die jetzt selbst als »Ein-Gen-ein-Polypeptid-Hypothese« nicht mehr taugt, weil es das eine Gen gar nicht gibt, das am Anfang steht?
Die Antwort auf die Fragen konnte durch die Untersuchung der genetischen Grundlage der Proteine gefunden werden, über deren Struktur die Biowissenschaftler zur damaligen Zeit am besten und
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