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Geschichte des Gens

Geschichte des Gens

Titel: Geschichte des Gens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Peter Fischer
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genauesten informiert waren. Die Proteine, um die es in der Forschung dabei konkret ging, heißen Antikörper. Sie tragen zur Immunreaktion des Körpers bei und haben diesen Namen, weil sie gegen die Fremdstoffe gebildet werden, die in einen Körper eindringen und ihm Schaden zufügen können. Eines der zahlreichen Rätsel in der Biologie bestand darin, wie es ein Organismus im Rahmen seiner Immunabwehr schaffen kann, der ungeheuren Vielfalt der möglichen Fremdkörper, die unglücklicherweise Antigene heißen (und nichts mit Genen zu tun haben),zu begegnen. Es ließ sich zum einen leicht abschätzen, wieviel Antigene die Umwelt verfügbar hat, und es ließ sich ebenso leicht ausrechnen, wieviel Gene, wieviel genetisches Material benötigt wurde, um für jedes Antigen einen Antikörper als Abwehrprotein herzustellen. Die Rechnung ergab, dass die vorhandene Menge an DNA in einer Zelle des Immunsystems nicht ausreichte, um seine Reaktionsvielfalt zu erklären. Deshalb machten sich schon in den sechziger Jahren im Hintergrund aller genetischen und molekularbiologischen Fortschritte Zweifel an der Hypothese breit, dass es für jedes Protein (beziehungsweise für jede Polypeptidkette) ein Gen geben musste - zumindest beim Immunsystem konnte dies nicht der Fall sein.
    Solange es die Gentechnik noch nicht gab und somit kein direkter Zugriff auf die Gene selbst möglich war, konzentrierten sich viele Biochemiker auf die Proteine selbst, und so kam nach und nach immer deutlicher deren Struktur zum Vorschein (Abbildung 14). Ganz allgemein zeigt sich ein Gebilde, das wie ein Y aussieht. Es lassen sich vier Polypeptidketten ausmachen, zwei kurze und zwei lange, die von den Immunologen als leichte und schwere Ketten bezeichnet wurden. Wenn wir uns für diesen Augenblick auf die leichten Ketten konzentrieren, finden wir erneut zwei Teile. Da gibt es einen, der konstant ist, was heißt, dass er in allen Antikörpern zu finden ist und keine Besonderheit erkennen lässt, die mit dem Fremdkörper (Antigen) zu tun hat, der eingefangen werden soll. Und da gibt es einen zweiten, der variabel ist, was heißt, dass seine Zusammensetzung von Antikörper zu Antikörper variiert; dadurch ist ihm die Spezifität verliehen, die er benötigt, um das anvisierte Antigen zu binden und damit unschädlich zu machen.
    Der entscheidende Punkt besteht nun darin, dass die beiden funktionell verschiedenen Teile einer leichten Kette eine durchgängige Struktur bilden. Das ist so wie bei einem Messer, das am Stück vorliegt und bei dem man trotzdem die Klinge vom Griff unterscheiden kann. Die funktionell unterscheidbaren Teile nennt man nun die Domänen der leichten Kette. Und wie sich im Rahmen der genauen genetischen Analyse herausstellte, wird die Information für den Bau einer Domäne von einem Exon geliefert. Mit anderen Worten: Aus dem ursprünglich so schönen und übersichtlichen Grundgedanken, dass ein Gen ein Protein macht, ist heute die feinere und detailliertere Einsicht geworden, dass ein Genstück ein Proteinteil macht. Im Fachjargon: Ein Exon kodiert eine Domäne.
    Ein Exon - eine Domäne. Und was tut ein Intron? Auf diese Frage gibt es bislang keine allgemein befriedigende Antwort. Diese stummen Zwischenstücke müssen aber auf jeden Fall mit zum Gen gerechnet werden, das wir uns als funktionierende Einheit in dem jetzt gar nicht mehr so einfachen Zellgeschehen denken, denn wie sich bald herausstellte, führen auch Mutationen in Intronsequenzen zu mangelhaft operierenden oder fehlenden Proteinen. Sie werden also nicht nur ausgeschnitten und weggeworfen.

    Abb. 14: Der Bau eines Antikörpers mit leichten und schweren Ketten und die gene-tische Herkunft seiner Teile
      
    Die Entdeckung der Mosaikstruktur von Genen lenkte die Aufmerksamkeit der Immunbiologen erneut auf die Frage, wie es die Zellen schaffen, mit ihrem genetischen Material der Vielfalt der Antigene zu begegnen, die aus Natur und Umwelt in einen Organismus eindringen können. Es war klar, dass es nicht für jedes der Antikörperproteine ein Gen geben konnte - dazu gab es zu wenig DNA -, aber nun bestand die Möglichkeit, dass aus einem Gen mehrere Proteine - genauer: mehrere Polypeptidketten - angefertigt werden konnten. Und genau dies konnte man bei den Antikörpern nachweisen. In einfachster Form lässt sich dieser Vorgang, der zum ersten Mal 1965 vorgeschlagen, aber erst zehn Jahre später überprüfbar und dann als korrekt nachgewiesen wurde, so ausdrücken, dass es

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