Geschichte des Kapitalismus
drittens die Verbreitung der Fabrik als eines arbeitsteiligen Produktionsbetriebs, der im Unterschied zum älteren Verlag zentralisiert war, im Unterschied zum Handwerksbetrieb Kraft- und Werkzeugmaschinen verwendete und eine klare Unterscheidung zwischen Leitung und Ausführung kannte. Der Ort dieses sich immer neu vorantreibenden Neuerungsprozesses war das sich industrialisierende Gewerbe, doch schwappte er sofort in die Landwirtschaft (neue Anbaumethoden, Düngung, Maschinisierung) wie ins Verkehrswesen (Anwendung der neuen Energien und Kraftmaschinen in neuartigen Fortbewegungsmitteln von der Eisenbahn und der Dampfschifffahrt bis zum Flugverkehr und zu interdependenten Transportsystemen heute), in den Bereich der Kommunikation (vom Telegrafen des mittleren 19. Jahrhunderts bis zum Internet, Medialisierung) und mit Verzögerungauch in die verschiedenen Verwaltungen hinein, die bald überproportional wuchsen, bei sich ausdifferenzierender gesamtgesellschaftlicher Arbeitsteilung. All dies führte zu einer präzedenzlosen Steigerung der Produktivität aller Produktionsfaktoren, einschlieÃlich der menschlichen Arbeit, die zunehmend qualifiziert, aber auch intensiviert und diszipliniert wurde; zum gesamtwirtschaftlichen Wachstum, das ungleichmäÃig verlief und konjunkturell schwankte, aber doch nachhaltig war, und zwar trotz wachsender Bevölkerung auch pro Kopf; vor allem aber â zumeist nach einer prekären, Knappheit und Not verschärfenden Anfangsphase â zu einer fundamentalen Verbesserung der Lebensverhältnisse, die sich an Realverdienstzugewinnen und erheblich verbesserter Versorgung auch der breiten Bevölkerung, an gesundheitlichen Fortschritten und verlängertem Leben, auch an der Zunahme von Wahlmöglichkeiten im Alltag zeigte. Ãberall gingen Industrialisierung und Verstädterung Hand in Hand, überall sank mit der Industrialisierung der auf die Landwirtschaft entfallende Beschäftigungsanteil zugunsten des gewerblich-industriellen und dann des «tertiären» Bereichs (vor allem Handel und Dienstleistungen), der in den entwickeltsten Ländern seit der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts dem nunmehr relativ schrumpfenden gewerblich-industriellen Sektor den Rang ablief, was der Rede von der «post-industriellen» Gegenwart einen gewissen Sinn verleiht.[ 63 ]
Die Industrialisierung fand zuerst seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in England statt, seit der ersten Hälfte oder dem zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts in groÃen Teilen des europäischen Kontinents und Nordamerikas, mit Ausläufern ins östliche und südliche Europa. Als erstes asiatisches Land industrialisierte Japan seit dem späten 19. Jahrhundert. Im späten 20. Jahrhundert folgten groÃe Teile Asiens, vor allem Südostasiens und seit den 1980er Jahren China mit rasanter Geschwindigkeit. Selten industrialisierten ganze Länder, immer nur einzelne Regionen. Je nach Zeitpunkt der Industrialisierung und in Abhängigkeit von den ökonomischen, sozialen, politischen und kulturellen Bedingungen unterschieden sich die Industrialisierungsprozesse in den verschiedenen Ländern und Regionen sehrvoneinander. Nirgendwo ging es um eine bloÃe Ãbernahme des Modells Englands und dann der anderen früh industrialisierenden Länder wie USA und Deutschland, so sehr sich die Industrialisierungen auch wechselseitig beeinflussten â über Markt und Konkurrenz, in gegenseitiger Beobachtung und durch Wissenstransfer, mit Strategien der Nachahmung, Vermeidung und Anverwandlung. Zwar wird man die Industrialisierung nicht als einzigen Weg zum Wohlstand bezeichnen können, doch zwischen den industrialisierenden und den nicht-industrialisierenden Regionen hat sich das Wohlstandsgefälle in den letzten 200 Jahren immens vergröÃert, innerhalb Europas wie weltweit. In der Regel lassen sich Wohlstandsrückstände nur durch irgendeine Form der Industrialisierung aufholen.[ 64 ] Im Kern eine sozialökonomische Transformation, hat die Industrialisierung gleichwohl in fast alle Lebensbereiche hineingewirkt und die Welt in begrenzter Zeit dramatisch verändert, so dass einzelne Autoren von der «gründlichsten Umwälzung menschlicher Existenz, die jemals in schriftlichen Quellen festgehalten worden ist» (Hobsbawm) oder der gröÃten menschheitsgeschichtlichen Zäsur seit der Sesshaftwerdung in der
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