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Geschichte des Kapitalismus

Geschichte des Kapitalismus

Titel: Geschichte des Kapitalismus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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wie sie Condorcet und anderen Aufklärern vorschwebte. Er war überzeugt, dass die einzelnen Individuen am besten selbst über ihre Interessen urteilen können. Er glaubte daran, dass es eine vernünftige Ordnung ohne staatlich verfügten Gesamtplan geben kann. Er misstraute, auf der Basis der Erfahrungen der zurückliegenden Jahrhunderte, der Weisheit der Regierenden und der Klugheit der Tradition. Smith und das aufklärungsgeprägte Schrifttum seiner Zeit reflektieren, was auch der empirische Befund belegt: dass der Kapitalismus nicht nur durch Zwang von kleinen Eliten den widerstrebenden Massen aufgeherrscht oder übergestülpt wurde, sondern dass er als praktische Kritik an alten Ungerechtigkeiten und als Versprechen gerechter Belohnung für erfolgreiche Anstrengungen, als Erzeuger von Wohlstand und im Bündnis mit Freiheit nicht nur für Kaufleute und Unternehmer, sondern auch für Intellektuelle und vermutlich auch für viele «normal people» attraktiv sein konnte.
    Aus der Rückschau wird klar, dass diese Sicht nicht unberechtigtwar: Die Niederlande und England waren die beiden Länder, die im späten 18. Jahrhundert Smiths Ideal einer «commercial society» näher kamen bzw., in der hier gewählten Sprache, kapitalistischer waren als alle anderen in Europa. England und die Niederlande waren aber zugleich die wohlhabendsten und wohl auch die freiesten Länder Europas. Trotz der beobachtbaren Zunahme von sozialer Ungleichheit im Zuge der Durchsetzung des Kapitalismus war der damit gewonnene Wohlstandsgewinn groß genug, um zu gewährleisten, dass sich auch die Verdienste der Arbeiter zwischen 1500 und 1800 in London und Amsterdam nominal nach oben entwickelten und real in etwa stagnierten, während sie auf dem Kontinent, beispielsweise in Wien und Florenz, nominal in etwa stagnierten und real fielen. Das West-Ost-Wohlstandsgefälle zwischen dem nordwestlichen Rand Europas (besonders Englands) und den größten Teilen des Kontinents prägte sich bis 1800 kräftig aus, während es um 1500 noch kaum bestanden hatte.[ 60 ] Das bedeutete viel, und zwar nicht nur für die Eliten, sondern auch für die breite Bevölkerungsmehrheit. Während im mittleren Europa bis in die «hungrigen» 1840er Jahre die zerstörerische Kraft von Versorgungskrisen («Pauperismus») zunahm, trafen diese Krisen England nicht oder doch in stark abnehmender Form. Die Überwindung der malthusianischen Falle – der Ökonom Thomas Malthus sagte Anfang des 19. Jahrhunderts voraus, dass die Bevölkerung schneller wachsen werde als der verfügbare Nahrungsspielraum, falls nicht bevölkerungspolitisch gebremst würde – war um 1800 in England bereits gelungen. In großen Teilen Europas gelang sie erst mit der Industrialisierung einige Jahrzehnte später. Das war eine Frage des Überlebens für Hunderttausende.
    Seit einigen Jahren hat man im Anschluss an die herausfordernden Thesen des Wirtschaftshistorikers Kenneth Pomeranz unter dem Stichwort «Great Divergence» intensiv diskutiert, warum zwar im nordwestlichen Europa, nicht aber in einem ökonomisch ähnlich weit entwickelten Territorium Ost-Chinas ein wirtschaftsgeschichtlicher Durchbruch hin zu beschleunigtem, sich selbst immer wieder neu antreibendem Wachstum gelungenist. Die Debatte ist nicht im Hinblick auf «Kapitalismus» geführt worden, noch ist es ein Ziel dieses Büchleins, zu jener Debatte beizutragen. Doch seien dazu drei Beobachtungen angeführt, die sich aus der bisherigen Untersuchung ergeben. (1) Es ist notwendig, unter den erklärenden Faktoren
Zusammenhänge
zwischen Ökonomie, Gesellschaft, Staat und Kultur vergleichend in den Blick zu nehmen, auch wenn es primär um die Erklärung von Produktivitäts- und Wachstumsunterschieden geht. Die komplexe Realität erfordert den Blick über die reine Wirtschaftsgeschichte hinaus, der Kapitalismusbegriff kann dabei helfen. (2) Der innereuropäische Vergleich ergibt, dass der Vorsprung, den England und mit Abstrichen die Niederlande im späten 18. Jahrhundert besaßen, Folge von
langfristigen Prozessen
war, die sich über Jahrhunderte erstreckten. Auch für die Erklärung europäisch-chinesischer Unterschiede dürfte der auf langsame Veränderungen in langer zeitlicher Erstreckung gerichtete Blick unverzichtbar sein. (3) Schließlich drängt sich die

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