Geschichte des Kapitalismus
Berufswege von Eigentümer-Unternehmern und Managern unterscheiden sich; doch hat sich der Zugang zu den Bastionen der wirtschaftlichen Macht insgesamt kaum weiter geöffnet. Der Aufstieg vom Tellerwäscher zum Millionär blieb die Ausnahme. Ein hohes Maà an intergenerationeller Statusvererbung wird auch durch die dem Manager-Kapitalismus eigenen Auswahlverfahren bewirkt, die neben der schulisch und praktisch erwerbbaren Ausbildung das über die Herkunft vermittelte kulturelle Kapital und damit verbundene Netzwerkbeziehungen prämieren.
Umgekehrt fürchtete man, dass mit dem Aufstieg der Manager verantwortungsloses Handeln in den Leitungsgremien zunehmen würde, denn die angestellten Unternehmer würden ja für ihre Misserfolge nicht mehr mit ihrer ganzen ökonomischen und sozialen Existenz einstehen müssen wie sie umgekehrt nur begrenzten persönlichen Gewinn von ihren eventuellen unternehmerischen Erfolgen haben würden.[ 74 ] Im Lichte der jüngsten Erfahrungen mit der «strukturierten Verantwortungslosigkeit» im heutigen Finanzkapitalismus ist es wichtig zu verstehen, warum sich diese Befürchtung insgesamt in der klassischen Zeit des Manager-Kapitalismus (im Westen bis in die 1970er/80er Jahre)nicht bewahrheitet hat. Einerseits trugen die erfolgsabhängigen Bestandteile der Manager-Einkünfte, einschlieÃlich ihrer Beteiligung am Kapital, dazu bei. Andererseits entwickelten sich in dieser Berufsgruppe professionelle Einstellungen mitentsprechenden Mechanismen der gegenseitigen sozialen Kontrolle, und dies bezog die eng involvierten Bankdirektoren ein. Vor allem aber blieben trotz zunehmender Mobilität Erfolg und Misserfolg auch der angestellten Unternehmer mit Erfolg und Misserfolg
bestimmter
Unternehmen â «ihrer» Unternehmen â für sie selbst und andere sehr sichtbar verbunden. Das war entscheidend (und ist im heutigen Finanzmarktkapitalismus anders). Die Identifikation eines Emil Rathenau mit «seinem» Manager-Unternehmen AEG war um 1910 sicher nicht viel schwächer als die Identifikation des Gründer-Sohns Wilhelm von Siemens mit «seinem» auch als AG weiterhin familiär kontrollierten Traditionsunternehmen.
Aufs Ganze gesehen, waren Manager jedoch weniger als Eigentümer-Unternehmer durch auÃerökonomische, z.B. familienbezogene Rücksichten geprägt und gebremst. Beim angestellten Unternehmer des Manager-Kapitalismus schlugen ökonomische Motive deshalb reiner durch als beim Eigentümer-Unternehmer der Industriellen Revolution. Insgesamt dürften sie dynamischer entschieden und sich expansiver verhalten haben als jene.[ 75 ]
3. Finanzialisierung
Diese Tendenz zur Herauslösung des wirtschaftlichen Handelns aus sozialen Kontexten, diese Zuspitzung seiner Ziele auf Profit und Wachstum bei gleichzeitiger Indifferenz gegenüber sonstigen Zielen, diese im Manager-Kapitalismus bereits angelegte, aber noch nicht verabsolutierte Selbstzweckhaftigkeit des Kapitalismus haben mit der «Finanzialisierung», dem Aufstieg des Finanzmarkt-, Finanz- oder Investorenkapitalismus in den letzten Jahrzehnten, ein Ausmaà erreicht, das dem System eine neue Qualität gibt und es vor neue, bisher ungelöste Herausforderungen stellt. Finanzkapitalismus â als Inbegriff der Geschäfte, die nicht mit der Produktion und dem Tausch von Gütern, sondern vor allem mit Geld gemacht und (im Umkreis) von Wechslern, Maklern, Banken, Börsen, Investoren und Kapitalmärkten betrieben werden â ist alt (s. oben S. 37, 51ff.). Doch seit den 1970er Jahren geschah Neues in dreierlei Hinsicht:
(1) Es hing mit dem Ende des Bretton Woods-Systems der internationalen Währungsregulierung und den drastischen Ãlpreissteigerungen der 70er Jahre, der einsetzenden Deregulierung und einer gewissen De-Industrialisierung in einigen westlichen Ländern zusammen, dass es zu einer raschen Ausdehnung und Aufwertung des Finanzsektors kam, vor allem in England und den USA, wo sein Anteil am Gesamtprodukt von den 1950er Jahren bis 2008 von ca. 2 % auf 9 bzw. 8 % wuchs. Die Vermögenswerte der Banken stiegen geradezu explosionsartig an. Der grenzüberschreitende Kapitalverkehr schwoll an, von 4 % des weltweiten Gesamtprodukts in den 80er Jahren auf 13 % und auf 20 % in den Jahren 2000 und 2007. Vieles davon entfiel auf den Transfer aus den Ãlförder- und aufsteigenden Schwellenländern (China,
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