Geschichte des Kapitalismus
über, und es trat eine gewisse Trennung von Kapitalisten- und Unternehmerfunktion ein, wenngleich, wie erwähnt, Mischformen der Zusammenarbeit von Eignerfamilienmitgliedern und Managern häufig und dauerhaft waren, und ja überdies auch im voll ausgebildeten Manager-Kapitalismus die Kapitaleigner auf Grundentscheidungen der Unternehmen Einfluss ausüben, besonders wenn der Kapitalbesitz nicht weit gestreut ist, sondern strategische Positionen in einigen Händen konzentriert sind. Auf dem Weg zum Managerkapitalismus waren Deutschland und die USA, daneben auf eigene Weise Japan führend. Treibend waren Wachstum, Kapitalbedarf und Organisation.
Das deutsche elektroindustrielle Unternehmen Siemens beschäftigte im Inland 1854 90, 1874 650, 1894 knapp 4000, aber 1914 gut 57.000 Personen. Das gröÃte deutsche Unternehmen â Krupp â brachte es 1887 auf 20.000 und 1907 auf 64.000, die «Vereinigten Stahlwerke» 1927 auf 200.000 Beschäftigte, das gröÃte amerikanische Unternehmen US-Steel 1901 auf gut 100.000 und 1929 auf 440.000 Beschäftigte. In den späten 1960er Jahren arbeiteten bei Siemens weltweit 270.000 und bei der Deutschen Bank 30.000 Arbeiter und Angestellte.Diese Zahlen kletterten bis 2010 auf 370.000 und 98.000. In diesem Jahr nahmen die Deutsche Post mit 425.000 und Siemens mit 405.000 die Spitzenplätze auf der deutschen Rangliste ein, doch waren dies nur die Plätze 11 und 13 auf der Liste der weltweit gröÃten Unternehmen, die von dem Einzelhandelskonzern Wal-Mart (mit 2,1 Mio Beschäftigten) und von China National Petroleum (mit 1,65 Mio Beschäftigten) angeführt wurde. Hinter diesen exorbitanten Steigerungen standen die unterschiedlichsten Vorgänge â neben dem inneren Wachstum vor allem Zusammenschlüsse von Unternehmen â und unterschiedliche Ziele: die Wahrnehmung von «economies of scale», d.h. von Umsatz- und Gewinnchancen unter sich ändernden technologischen und Vertriebsbedingungen (Massenproduktion und Massenmärkte), das Streben nach GröÃe und damit nach Reichtum, Ansehen und Macht, auch wenn sie sich betriebswirtschaftlich nicht auszahlten; oft auch Expansion aus defensiven Motiven, denn angesichts aggressiver Konkurrenz führt Selbstbescheidung leicht in den Untergang.
In der ersten Industrialisierungsphase kamen selbst die teuersten Unternehmen mit einem sehr überschaubaren Grundkapital aus, so im deutschen Montanbereich der 1850er Jahre in der GröÃenordnung von ein bis zwei, höchstens drei Mio Mark (umgerechnet); das Kapital der Fabriken in anderen Bereichen, speziell in der ausgedehnten Textilbranche, lag durchweg weit darunter. Aber zwischen 1887 und 1927 nahm das durchschnittliche Kapital der 100 gröÃten deutschen Unternehmen von 9,4 auf 59 Millionen Mark zu. 1901 wies US Steel ein Kapital von 1,4 Milliarden Dollar aus. Das Eigenkapital der Deutschen Bank betrug 1970 noch 1,4 Milliarden Mark, aber 2010 schon 49 Milliarden Euro. Im selben Jahr betrug das Eigenkapital von Siemens 28 Milliarden Euro. Durchweg überstiegen und übersteigen solche Summen die Möglichkeiten jeder einzelnen Eigentümer-Familie. Die Finanzierung über den Kapitalmarkt und damit die Organisationsform der Kapitalgesellschaft wurden zwingend.
Manchmal spricht man von einer «zweiten Industriellen Revolution», die in den relativ früh mit der Industrialisierung beginnendenLändern Europas und Nordamerikas im letzten Viertel des 19. und in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts stattgefunden habe. Damit wird auf den spektakulären Aufstieg der «neuen Industrien» Elektrotechnik, Chemie und Fahrzeugbau, auf die beginnende ErschlieÃung des Erdöls als Energiequelle sowie auf die enorme Bedeutungszunahme von Technik und Wissenschaft in der industriellen Produktion angespielt. Die Bezeichnung zielt aber auch auf die Zentralisation des Kapitals durch umfassende Zusammenschlüsse in Form von Kartellen, Verbänden, Holdings und Konzernen, die, zum Teil als Reaktion auf den vorangehenden Konjunktureinbruch der 1870er Jahre, die Konkurrenz zu begrenzen oder gar auszuschalten versuchten. Treibende Kräfte waren GroÃunternehmer wie John D. Rockefeller, der Erbauer des GroÃkonzerns «Standard Oil of New Jersey» (seit den 1870er Jahren) oder Emil Kirdorf, der Generaldirektor der Gelsenkirchener Bergwerks AG und Architekt des
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