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Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Titel: Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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Stand nützliche Tätigkeiten ausübe, während die privilegierten Stände auf Kosten der Gesellschaft lebten. Sie bedeuteten eine Last für die Nation, ohne ein Teil derselben zu sein. Die Forderungen, die Sieyès aus seiner Analyse für die Generalstände ableitete, waren die, die er und Mirabeau im Juni 1789 erhoben und durchsetzten. Es waren Mindestforderungen. Daß der Dritte Stand als der allgemeine Stand dabei nicht stehen bleiben konnte, war offenkundig. Die Streitschrift des Abbé Sieyès war ein revolutionäres Programm, das nur durch eine Revolution verwirklicht werden konnte. Sie hatte bereits begonnen: an ebenjenem 17. Juni 1789, an dem die Delegierten des Dritten Standes auf Antrag von Sieyès beschlossen, sich zur Nationalversammlung zu erklären.[ 183 ]
    Wirtschaftliche Umwälzung: Die Industrielle Revolution in England
    Eine ganz andere Umwälzung als in Frankreich vollzog sich um dieselbe Zeit in Großbritannien: die Industrielle Revolution. Die denkbar knappste Definition dieses Begriffs, der in den 1820er Jahren in Frankreich aufkam, stammt von dem schweizerischen Wirtschaftshistoriker Hansjörg Siegenthaler: «Unter ‹Industrieller Revolution› können diejenigen technisch-organisierten Veränderungen innerhalb des Industriesektors verstanden werden, die in einem Lande maßgeblich auf den Übergang zu ‹modernem Wirtschaftswachstum› Einfluß gehabt haben.» Für Großbritannien wird der Beginn der Industriellen Revolution gemeinhin auf die Jahre 1760 bis 1785 datiert, ihr Auslaufen auf die Zeit um 1830. Zwischen 1760 und den 1770er Jahren wurden in England drei Baumwollspinnmaschinen erfunden, darunter die «water frame» von Richard Arkwright, die als erste mit Wasserkraft betrieben wurde, zur Errichtung von Textilfabriken führte und damit die bisher übliche Heimarbeit zu verdrängen begann. Arkwrights erste Fabrik entstand 1771 in Cromford in Devonshire. 1786 folgte die Fortentwicklung der Spinnmaschine in Gestalt des mechanischen Webstuhls.[ 184 ]
    Eine unmittelbare Folge von Arkwrights Erfindung war die Entstehung von Maschinenfabriken, die nach einiger Zeit auch imstande waren, Dampfmaschinen herzustellen. Die Karriere der Dampfmaschine begann 1769 auf Grund durchschlagender Verbesserungen eines bereits vorhandenen Modells durch James Watt. Die neue Erfindung setzte sich im Bergbau, in der Eisenverarbeitung und in der Textilindustrie durch. 1804 wurde in Großbritannien die erste Dampflokomotive gebaut, 1825 die erste öffentliche Dampfeisenbahnlinie zwischen Stockton und Darlington eröffnet. Vier Jahre später nahm die Eisenbahn zwischen Manchester und Liverpool den Betrieb auf.
    Die Industrielle Revolution war kein abrupt einsetzender Vorgang. Sie hatte eine lange Vorgeschichte, die auch erklärt, warum gerade England zum Mutterland dieses tiefgreifenden Wandels von Wirtschaft und Gesellschaft wurde. Der Industriellen Revolution waren mehrere andere «Revolutionen» vorausgegangen: eine starke Vermehrung der Bevölkerung infolge verbesserter hygienischer Verhältnisse und des Absinkens des Heiratsalters auf dem Lande; eine erhebliche Produktionssteigerung in der Landwirtschaft bei gleichzeitiger Verdrängung der freien Bauern, der «yeomen», verursacht durch die «enclosures», das heißt die Einhegung von bisher in Gemeinbesitz befindlichem Land oder verpachtetem Bauernland zugunsten kapitalistisch betriebener Schafzucht, durch technische Innovationen und rationellere Bewirtschaftungsmethoden; eine gewaltige Expansion des Außen- und namentlich des Überseehandels; eine erhebliche Verbesserung des Verkehrswesens durch den Bau von Straßen und Kanälen; und nicht zuletzt jene «industrious revolution», von der der niederländische Historiker Jan de Vries spricht: eine Revolution des Fleißes, die seit der Mitte des 17. Jahrhunderts in den überwiegend protestantisch geprägten Gesellschaften Nordwesteuropas und Nordamerikas zu einer rationaleren Haushaltsführung und produktiveren Formen des Wirtschaftens in Stadt und Land geführt hatte.
    Dank der agrarischen und der kommerziellen Revolution besaß England Kapital, das für Investitionen in industriellen Unternehmungen notwendig war. Anders als in Frankreich stand in Großbritannien der Adel in seiner Mehrheit dem industriellen Fortschritt nicht feindselig gegenüber; vielmehr beteiligten sich viele Adlige an der Finanzierung der Industrialisierung – und profitierten davon. Das Land verfügte über tüchtige Handwerker, aus

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