Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)
Sattler ermordet worden. Die Ultras machten die liberale Politik Decazes’ für die Bluttat verantwortlich. Der König sah sich daraufhin genötigt, Decazes zu entlassen und den Herzog von Richelieu erneut mit dem Amt des Ministerpräsidenten zu betrauen. Unter der neuen Regierung wurde wieder die Zensur eingeführt und das Zensuswahlrecht massiv verschärft: Die am höchsten besteuerten Wähler erhielten durch die «Loi du double vote» eine Zweitstimme, die es ihnen erlaubte, 72 von insgesamt 420 Abgeordneten zu wählen.
Der Widerstand gegen die Bourbonenherrschaft äußerte sich in Gestalt der «Carboneria», eines Geheimbundes von Verschwörern, der sich in der Regierungszeit Murats im Königreich Neapel gebildet und rasch über ganz Italien und in anderen Ländern, vor allem in Frankreich, ausgebreitet hatte. Auf das Konto der bonapartistisch gesinnten «Carbonari» gingen mehrere örtliche Umsturzversuche und Militärrevolten der Jahre 1820 bis 1822, unter anderem in Saumur, La Rochelle und im elsässischen Colmar. Die Angst vor dem gewaltsamen Umsturz trug wesentlich dazu bei, daß die Ultras aus den Wahlen von 1820 als Sieger hervorgingen und der gemäßigte Richelieu im Dezember 1821 durch den ultraroyalistischen Grafen Joseph de Villèle abgelöst wurde. Er behielt dieses Amt sechs Jahre lang, bis zum Januar 1828. Die liberale Phase der Bourbonenherrschaft gehörte der Vergangenheit an.
Das Ministerium de Villèle bekämpfte die Opposition durch verschärfte Pressezensur, Einschränkung der akademischen Freiheit, Wahlmanipulationen, die Bestechung von Abgeordneten und mehrfache «Pairschubs», die personelle Verstärkung der konservativen Kräfte in der ersten Kammer. Eine gewisse Popularität verschaffte sich die Regierung 1823 durch eine von Außenminister Chateaubriand betriebene, von den Mächten der «Heiligen Allianz» unterstützte, erfolgreiche Intervention in Spanien zugunsten Ferdinands VII. Der Bourbonenkönig stand seit 1821 im erst verdeckten, dann offenen Kampf gegen die liberalen Kräfte, die nach einer Offiziersrevolte im Jahr 1820 an die Regierung gelangt waren. Das Kabinett Villèle nahm den rasch erfochtenen Sieg der französischen Armee zum Anlaß, um im Dezember 1823 die Kammer aufzulösen. Die Neuwahlen vom Februar und März 1824 brachten den Ultras einen überlegenen Sieg. Nur 19 Liberale, unter ihnen Benjamin Constant und der Bankier Casimir Périer, zogen in die vom König so genannte «Chambre retrouvée», die wiedergefundene Kammer, ein.
Die neue Kammer verabschiedete im Juni 1824 ein Gesetz, das die Bestimmung der Charte abschaffte, wonach ein Fünftel der Abgeordneten jährlich neu zu wählen war. An die Stelle der Rotation trat die Gesamtwahl der Kammer; die Legislaturperiode sollte sieben Jahre dauern. Am 16. September 1824 starb Ludwig XVIII. Mit der Herrschaft seines ultraroyalistischen Bruders, Karls X., begann die eigentliche Reaktionszeit.[ 60 ]
In Deutschland vollzog sich der Übergang von der defensiven zur offensiven Restauration noch schneller als in Frankreich. Den Anstoß gaben die Kräfte, die in den napoleonischen Kriegen ein freiheitliches und geeintes Deutschland erstrebt hatten und darum von den Ergebnissen des Wiener Kongresses bitter enttäuscht waren. Besonders groß war die Empörung bei den Studenten, von denen viele in den Freikorps als Freiwillige gegen den Kaiser der Franzosen gekämpft hatten. Auf das berühmteste aller Freikorps, das des Majors von Lützow, gingen die Farben Schwarz-Rot-Gold zurück, die von der neugegründeten «Jenenser Burschenschaft» im Juni 1815 auf Vorschlag des Turnvaters Jahn zu ihrem Bundessymbol erhoben wurden. Die Burschenschaften, die sich rasch über ganz Deutschland verbreiteten, waren von Anfang an national, also gesamtdeutsch, und meist auch demokratisch gesinnt. Eben darin unterschieden sie sich von den älteren Landsmannschaften, den regionalen Studentenverbindungen.
Die erste große Kundgebung der Burschenschaften war das Wartburgfest am 18. Oktober 1817, auf dem der 300. Wiederkehr der Reformation Martin Luthers und des vierten Jahrestages der Völkerschlacht von Leipzig gedacht werden sollte. Die offizielle Feier verlief ohne Zwischenfälle. Am Abend sorgten dann die zahlreich anwesenden Turner für einen Eklat. Sie verbrannten angeblich «undeutsche» Bücher, darunter den Code Napoléon, sowie Symbole des verhaßten Absolutismus wie einen hessischen Militärzopf, einen preußischen Ulanenschnürleib und
Weitere Kostenlose Bücher