Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)
grundsätzlichen Gleichheit der Rechte und Pflichten soll selbst der Schein von Suprematie eines Bundesstaates über den anderen vermieden werden.» Laut Artikel V durfte überdies kein Bundesstaat, der ein oder mehrere Armeekorps für sich bildete, Kontingente anderer Bundesstaaten mit den seinigen in einer Abteilung vereinigen.
Tatsächlich wurde dadurch das militärische Ungleichgewicht zwischen den beiden großen und den anderen Staaten noch verschärft. Österreich und Preußen durften beide nur mit drei Armeekorps am Bundesheer teilnehmen, womit sie zusammen fast zwei Drittel der gesamten Streitmacht des Bundes stellten. Als europäische Großmächte, die zu erheblichen Teilen außerhalb des Deutschen Bundes lagen, unterhielten beide aber sehr viel mehr Militär. Im Fall Preußens, das immerhin mit drei Vierteln seines Gebietes zum Bund gehörte, waren das sechs zusätzliche Armeekorps. Nach den Erfahrungen der Befreiungskriege war damit zu rechnen, daß die norddeutsche Führungsmacht im Ernstfall wieder alle ihre Streitkräfte, auch die nicht zum Bundesheer gehörenden, zur Verteidigung Deutschlands einsetzen würde. Darauf verließen sich die mittleren und kleineren Mitglieder des Deutschen Bundes, und deswegen vernachlässigten sie ihre eigenen militärischen Anstrengungen.
Vorschriften von den beiden «Großen» ließen sich die bedeutenderen unter den Staaten des «dritten Deutschland» ohnehin nicht machen. Metternich hatte am Ende mit seiner Absicht, die mittleren und kleineren Bundesstaaten auf altständische Vertretungen zu verpflichten, keinen Erfolg: Die süddeutschen Staaten verweigerten sich diesem Ansinnen; ihr konstitutionelles System wurde durch die Karlsbader Beschlüsse beeinträchtigt, aber nicht erstickt. In Baden, dem Land mit der freiheitlichsten Verfassung, konnte sich der politische Liberalismus gegenüber dem Druck aus Wien und Berlin behaupten. Wirtschaftlich war Baden freilich sehr viel weniger liberal als Preußen. Wie die anderen süddeutschen Staaten schreckte das Großherzogtum vor der Einführung der Gewerbefreiheit und der Freizügigkeit seiner Untertanen aus Rücksicht auf den Widerstand von Handwerkern, anderen kleinen Gewerbetreibenden und Bauern zurück, und aus demselben Grund fand in Baden nach 1815 auch keine Judenemanzipation statt.
Die autoritäre Modernisierung Preußens war mithin mit mehr wirtschaftlicher Freiheit verbunden als die vergleichsweise liberale Modernisierung Badens. Das galt auch für das außenwirtschaftliche Gegenstück zur Gewerbefreiheit, den Freihandel, dem Preußen sich, beginnend mit dem Zollgesetz von 1818, zuwandte. Der Staat der Hohenzollern förderte dadurch den Wettbewerb und durch diesen die leistungsfähigsten Unternehmen. Auch deshalb verlief die Industrialisierung in Preußen sehr viel zügiger als in den süddeutschen Staaten, die ihr heimisches Gewerbe vor ausländischer, vor allem britischer Konkurrenz, abzuschirmen versuchten, wie das zur gleichen Zeit auch Frankreich tat. Österreich war auf politischem Gebiet womöglich noch reaktionärer als Preußen und hob sich damit von den süddeutschen Verfassungsstaaten ab. In wirtschaftlicher und wirtschaftspolitischer Hinsicht aber ähnelte der größte Bundesstaat mit seinen hohen Schutzzöllen und dem Festhalten an zünftlerischen Beschränkungen mehr den süddeutschen Mittelstaaten als der anderen deutschen Großmacht. Der Kaiserstaat geriet nach 1815 gegenüber Preußen immer mehr ins Hintertreffen, und da er diesen Mangel nicht durch politische Fortschrittlichkeit ausgleichen konnte, bot er den freiheitlichen Kräften im «Dritten Deutschland» keinen Ansatzpunkt für irgendwelche Hoffnungen.
Weil sowohl Österreich als auch Preußen nach dem Wiener Kongreß andere Ziele verfolgten als das der deutschen Einigung, fehlte dem nationalen Gedanken in der Restaurationszeit ein klares staatliches Profil. Wer im Jahrzehnt nach Karlsbad die deutsche Einheit beschwor, dachte kaum an einen deutschen Nationalstaat und schon gar nicht an einen unter preußischer Führung. Die Nationalgesinnten waren bescheidener in ihren Zielen: Sie wollten das Bewußtsein der Deutschen festigen, ungeachtet ihrer Vielstaatlichkeit, einer Nation anzugehören. Die mit dem nationalen Gedanken eng verwandte Idee der Freiheit konnte sich erst recht nicht mit Preußen, sondern allenfalls mit den süddeutschen Staaten verbinden. Diese trugen das System der Restauration zwar mit, blieben aber konstitutionell.
Das
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