Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)
erreichten aber nur wenige hundert Demonstranten. Polizei und Militär bereiteten dem Massenprotest auf dem St. Petersfeld vor den Toren von Manchester ein frühzeitiges Ende.
Am gleichen Ort fand im August 1819 eine Versammlung von etwa 80.000 Arbeitern, vorwiegend Webern, statt, die über eine Reform des Unterhauses beraten wollten. Die örtlichen Behörden mobilisierten reguläres, in Manchester stationiertes Militär und eine Freiwilligentruppe, deren Aufgabe es war, die Anführer vor den Augen der Menge zu verhaften und die Fahnen der Demonstranten herunterzureißen. Zur Unterstützung der Bürgerwehr griffen Soldaten mit Säbeln und Gewehren ein. Die Aktion führte zu einem Blutbad. Es gab elf Tote und Hunderte von Verletzten.
«Peterloo», wie das Massaker von Manchester in Anspielung auf Napoleons letzte Schlacht bei Waterloo sogleich genannt wurde, war noch nicht der Höhepunkt der Repression. Im November 1819 verabschiedete das Unterhaus die «Six laws», darunter eines, das auf fünf Jahre alle amtlich nicht genehmigten politischen Versammlungen verbot, und ein anderes, das die Pressefreiheit einschränkte. Daß im Jahr darauf die Protestwelle abebbte, lag nicht nur an der Härte des staatlichen Vorgehens, sondern auch an der spürbaren Wiederbelebung des Wirtschaftslebens. Dazu kam der Einfluß der methodistischen Erweckungsbewegung. Durch sie waren zwar auch viele der radikalen Handwerker und Arbeiter geprägt, die sich gegen das moderne Maschinenwesen und die kapitalistische Ausbeutung auflehnten. Den Ton aber gab eine andere Richtung an: jene, die Gehorsam gegenüber der Obrigkeit predigte und eine endgültige Erlösung vom irdischen Elend erst in einer anderen, jenseitigen Welt erhoffte.
Im Januar 1820 endete mit dem Tod Georgs III., der seit 1811 unheilbar geisteskrank war, die Zeit der «Regency». Sein Sohn, der nunmehrige König Georg IV. (1820–1830), der neun Jahre lang Regent gewesen war, beließ es zunächst bei der hochkonservativen Regierung der vergangenen Jahre, was ihn in der breiten Bevölkerung noch verhaßter machte, als er es auf Grund seiner Ausschweifungen und seiner Verschwendungssucht ohnehin schon war. Erst im Sommer 1822, nach dem Selbstmord des Außenministers und Mehrheitsführers im Unterhaus, Lord Castlereagh, nahm die britische Politik eine, wenn auch nicht im Parteisinn, liberale Wendung: Castlereaghs Nachfolge in beiden Ämtern trat George Canning an, der von 1807 bis 1809 schon einmal an der Spitze des Foreign Office gestanden hatte.
Als sozialer Aufsteiger war und blieb Canning ein Fremdling unter den hocharistokratischen Tories. Zu seinen Verbündeten im Kabinett Liverpool gehörte der neue Innenminister Robert Peel, der sogleich eine gründliche Reform des in großen Teilen immer noch mittelalterlichen Strafrechts in Angriff nahm. Peel verwandelte eine große Zahl kleinerer Delikte, auf die die Todesstrafe stand, in bloße Vergehen und richtete sich durchgängig am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Strafe aus. Die Folge war, daß die Geschworenengerichte sich fortan nicht mehr genötigt sahen, Fälscher und Diebe nur deshalb freizusprechen, weil sie diese vor dem Henker bewahren wollten.
Daß Canning sich rasch hohes Ansehen unter den europäischen Liberalen erwarb, lag an seiner Außenpolitik. Er verweigerte sich der antirevolutionären Interventionspolitik, die die Hauptmächte der «Heiligen Allianz», Rußland, Österreich und Preußen, zeitweilig aber auch Frankreich betrieben, und unterstützte, worauf zurückzukommen sein wird, in kühler Einschätzung der politischen und wirtschaftlichen Interessen Großbritanniens den Unabhängigkeitskampf der spanischen und portugiesischen Kolonien Lateinamerikas. Canning war seit seiner Schülerzeit in Eton ein Bewunderer des klassischen Hellas, und schon darum hegte er große Sympathien für den griechischen Befreiungskampf, der 1821 begann. Als Gleichgewichtspolitiker konnte ihm jedoch nicht daran gelegen sein, das Osmanische Reich zu schwach und das russische Zarenreich, die «geborene» Schutzmacht der orthodoxen Griechen, zu stark werden zu lassen. Infolgedessen bemühte er sich solange wie möglich um einen Ausgleich zwischen Griechen und Türken.
Ein konsequenter Reformer war Canning ebensowenig wie Peel. Beide waren keine Vorkämpfer einer Wahlrechtsreform, und auch im Hinblick auf zwei andere eng miteinander verbundene Probleme, die Emanzipation der Katholiken und die Stellung Irlands im Vereinigten
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