Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)
vollstreckt. Im «ideologischen» Kampf gegen den Liberalismus aber wollte sich Papst Gregor XVI. von niemandem an Deutlichkeit übertreffen lassen. Diesem Zweck dienten seine ersten beiden Enzykliken, «Mirari vos» von 1832 und «Singulari nos» von 1834, die sich nicht zuletzt gegen Lamenais’ Versuch richteten, Katholizismus und Liberalismus miteinander zu verbinden. Angesichts dieser schroffen Abgrenzung war es von Anfang an wenig wahrscheinlich, daß ein anderer Versuch des Brückenschlags mehr Erfolg haben würde: die Bemühungen der «Neoguelfen» um den einstigen katholischen Geistlichen und späteren Philosophen und Publizisten Vincenzo Gioberti, die in Anknüpfung an die Stauferfeinde des Mittelalters das Papsttum zu einem Verbündeten der italienischen Nationalbewegung machten wollten.
Gioberti wirkte von 1833 bis 1845 aus dem Exil, das er zum größten Teil in Belgien verbrachte. In der europäischen Öffentlichkeit aber wurde ein anderer italienischer Emigrant bald sehr viel bekannter: Giuseppe Mazzini aus Genua, der sich 1828/29 im Alter von 23 Jahren der Carboneria angeschlossen hatte. 1831, kurz nachdem er Italien verlassen hatte, gründete er in Marseille den Geheimbund «Giovine Italia». Als dessen Führer richtete er einen öffentlichen Appell an Karl Albert von Savoyen, den König von Sardinien-Piemont, sich als Erbe Napoleons an die Spitze der nationalen Bewegung zu stellen, vom Frankreich der Julimonarchie keine Hilfe zu erwarten und Österreich offensiv entgegenzutreten. Wäre der König in Turin dem Aufruf gefolgt, hätte er im Sinne Mazzinis «Freiheit, Ehre, Unabhängigkeit» auf seine Fahnen schreiben und alles daran setzen müssen, um nach dem ersten, dem antiken, und dem zweiten, dem christlichen, ein «drittes Rom» zu errichten: ein Rom des italienischen Volkes.
Da Karl Albert, wie zu erwarten, sich den Vorschlägen Mazzinis verweigerte, schritt dieser selbst zur Tat: Er versuchte mit Hilfe von Gesinnungsgenossen, die im Lande verblieben waren, die Revolution zu organisieren. Anders als die Carboneria sprach die «Giovine Italia» offen von ihrem Ziel, der Befreiung und Einigung Italiens. Daß Italien sich aus eigener Kraft, ohne fremde Hilfe, selbst erschaffen müsse: Von dieser Überzeugung ließ sich Mazzini leiten, als er in seiner «Allgemeinen Unterweisung an die Verbrüderten des Jungen Italien» seine Vision von einem Italien entwarf, das vom «oberen Kreis der Alpen» im Norden bis zum Meer im Süden, vom Var in den (heute französischen) Seealpen im Westen bis Triest im Osten reichen und neben dem Festland auch die italienischen Inseln, also auch Korsika, umfassen sollte.
«Die Nation», so definierte Mazzini, «ist die Gesamtheit der Italiener, die durch einen Vertrag verbrüdert, unter einem gemeinsamen Gesetz leben … Das Junge Italien strebt mit der Einheit nicht den Despotismus an, sondern Eintracht und Verbrüderung aller.» Die Fahne sollte eine rot-weiß-grüne Trikolore mit den Worten «Freiheit, Gleichheit, Menschlichkeit» auf der einen und «Einheit, Unabhängigkeit» auf der anderen Seite sein. Als Mittel, um seine Zwecke zu erreichen, wurden ohne Umschweife genannt: «Erziehung und Aufstand». Mazzini unterschied dabei zwischen zwei Entwicklungsstufen, der niederen der Insurrektion und der höheren der Revolution. Dementsprechend galt es als erstes, Erhebungen auszulösen.
Den Worten folgten Taten. Von Genf aus, wo er nach seiner Ausweisung aus Frankreich den Generalrat der Giovine Italia leitete, versuchte Mazzini im Sommer 1833 einen Aufstand in Piemont zu entfesseln, der aber, bevor er losbrechen konnte, von der dortigen Polizei vereitelt wurde; von den Todesurteilen gegen die Verschwörer wurden zwölf vollstreckt. Ein anderer Aufstandsversuch in Neapel schlug ebenfalls fehl, was aber Mazzini nicht davon abhielt, zusammen mit polnischen und deutschen Emigranten ein weiteres revolutionäres Unternehmen im piemontesischen Savoyen vorzubereiten. Diesmal wurde die Aktion von der schweizerischen Polizei verhindert. Lediglich in Genua kam es zu einem Aufstand, der jedoch rasch niedergeschlagen wurde. Einer der Anführer war Giuseppe Garibaldi aus Nizza, der während der Kämpfe um die italienische Unabhängigkeit nach 1859 weltberühmt werden sollte. Er wurde zum Tode verurteilt, konnte aber fliehen und gelangte über Frankreich nach Südamerika, von wo er nach Ausbruch der Revolution von 1848 nach Italien zurückkehrte.
Da Italien für eine Umwälzung
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