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Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Titel: Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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offenbar noch nicht reif war, verlegte sich Mazzini in der Folgezeit darauf, die Revolution im europäischen Maßstab vorzubereiten. Zusammen mit Emigranten aus Polen und Deutschland gründete er 1834 in der Schweiz die «Giovine Europa». Im neuen Geheimbund wirkte an maßgeblicher Stelle auch Joachim Lelewel aus Polen mit, der in Bern das «Junge Polen» als Zweigverband des «Jungen Europa» ins Leben rief. Im gleichen Jahr 1834 gründeten deutsche Emigranten, die meisten von ihnen Akademiker und Handwerksgesellen, in der Schweiz das «Junge Deutschland». Kurz darauf bildeten sich noch zwei weitere nationale Teilorganisationen heraus: das Junge Frankreich und die Junge Schweiz.
    Unter dem Namen «Junges Deutschland» hatte sich bereits vier Jahre zuvor eine Gruppe von Schriftstellern, darunter Karl Gutzkow, Heinrich Heine und Ludwig Börne, zusammengeschlossen, die ebenso wie der neue Geheimbund radikale Kritik an der Unterdrückung in Deutschland übten, aber, anders als dieser, nicht die Revolution vorbereiteten. Zwischen Schwarzwald und Odenwald entstand nach 1834 ein lockeres Netz von Stützpunkten der Geheimorganisation. Eine ernste Gefahr für die bestehende Ordnung ging von der kleinen Gruppe nicht aus. Den Regierungen des Deutschen Bundes aber genügten die Umtriebe, deren sie gewahr wurden, um 1834/35 in den (geheimgehaltenen) «Sechzig Artikeln» das System der überwachung und Verfolgung weiter auszubauen. Die Schriften der Autoren des «Jungen Deutschland» wurden verboten. Das Verbot hatte bis 1842 Bestand.
    Das «Junge Europa» war so etwas wie eine Internationale der Nationalisten. Sie bewirkte in der praktischen Politik nicht viel, trug aber dazu bei, daß ein Gefühl der Zusammengehörigkeit zwischen denen entstand, die im Willen zur Freiheit und zur Selbstbestimmung der Völker übereinstimmten. In Mazzinis romantischem Nationalismus wirkte Herders Idee des Volksgeistes nach; die Lehre von den individuellen Menschenrechten, wie sie die Französische Revolution von 1789 vertreten hatte, erschien dem italienischen Revolutionär zu blutleer, als daß er sich für sie hätte begeistern können. Mazzini wollte diese Rechte durch eine Theorie der Pflicht nicht nur ergänzen, sondern ersetzen. Adressat der Pflicht jedes einzelnen war das Volk. «Die Revolutionen vollziehen sich durch das Volk und mit dem Volk», heißt es in einem Rundschreiben an die Mitglieder des Jungen Italien von 1831. Die Idee des «dritten Rom» entsprang einer romantischen Verklärung des italienischen Volkes, und romantisch war auch der Glaube an den Gleichklang und die Verbrüderung der erwachenden Völker – den «Völkerfrühling», von dem als erster Ludwig Börne im Jahr 1818 sprach.
    Mazzinis Volk war eine ideale Größe, allen materiellen Interessen vor- und übergeordnet. Da die soziale Frage entzweiend wirkte, gleichviel ob sie von landarmen Bauern oder dem industriellen Proletariat aufgeworfen wurde, blendete der Gründer des Jungen Italien sie weitgehend aus. Sein Nationalismus war nicht nur von religiösen Motiven durchtränkt, Mazzini machte ihn zur Religion. Die Opfer der Konterrevolution von 1831 wurden für ihn zu Kronzeugen des neuen Glaubens. «Eine ganze Religion ist in diesem Blute», schrieb er 1831 im «Manifest des Jungen Italien». «Keine Kraft kann den Samen der Freiheit ersticken, da er im Blute der Starken keimte. Heute noch ist unsere Religion die des Martyriums, morgen wird sie die Religion des Sieges sein … Eine Stimme ruft uns zu: Die Religion der Menschheit ist die Liebe … Der letzte Ruf der Verratenen stellt sich zwischen uns und die Nationen, die uns bis jetzt verkauft und vernachlässigt oder verraten haben. Die Vergebung ist die Tugend im Siege.»
    Die Menschheit verlor Mazzini nicht aus dem Blick, aber sie gliederte sich nun einmal in Völker. Nur durch sie konnte sich nach seiner Überzeugung die Humanität verwirklichen, und um sich durchzusetzen, mußten die Massen der Völker zur Revolution schreiten. «Gott ist mit euch. Macht aus der Revolution eine Religion, eine allgemeine Idee, die die Menschen in einem gleichen Geschicke und im Martyrium verbrüdert: Das sind die zwei ewigen Elemente in der Religion. Predigt das erste und weiht euch dem zweiten … Der Fortschritt ist, war und wird sein, weil er Gottes Gesetz ist, und weder weltliche noch geistliche Tyrannei können ihn aufhalten … Gott und das Volk, das ist das Programm der Zukunft.»
    Die Absage an den Individualismus

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