Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)
selbst. Viele von ihnen schwenkten schwarz-rot-goldene Fahnen – jene Farben, die erstmals 1813 vom berühmtesten aller Freikorps, dem des Majors von Lützow, gezeigt worden waren, die die Burschenschaften nach 1815 dann auf Vorschlag des Turnvaters Jahn übernommen hatten und die nun, 1832, endgültig zum Symbol der deutschen Einheits- und Freiheitsbewegung wurden. In den Hambacher Reden wurde die Freundschaft mit Polen, Franzosen und allen anderen freiheitsliebenden Völkern beschworen. Siebenpfeiffer wünschte sich «das deutsche Weib» nicht mehr als «dienstpflichtige Magd des herrschenden Mannes», sondern als «freie Genossin des freien Bürgers». Wirth (der einzige Redner, der es für richtig hielt, die Wiedervereinigung von Elsaß und Lothringen mit dem befreiten Deutschland zu fordern), sprach sich für eine «gesetzliche Revolution» aus, ließ aber offen, was darunter zu verstehen war. Ein Antrag Siebenpfeiffers, sogleich einen Ausschuß von Vertrauensmännern zu bilden und dem Bundestag als provisorische Nationalregierung gegenüberzustellen, fand am 28. Mai auf einer kleineren Versammlung in Neustadt keine Mehrheit. Die Zweifel an der eigenen Kompetenz waren offenkundig stärker als der Wille zur deutschen Revolution.
Manchen gemäßigten Liberalen waren die Hambacher Parolen viel zu radikal: ein wichtiger Grund, weshalb die Wege von Demokraten und Liberalen im engeren Sinn sich seit 1832 deutlich voneinander zu trennen begannen. Rotteck, dem die Karlsruher Regierung wie allen anderen Beamten die Teilnahme am Hambacher Fest untersagt hatte, sah die Freiheit durch das Drängen nach Einheit ernsthaft bedroht. Auf einem Fest badischer Liberaler in Badenweiler machte er im Juni 1832 seine Rangordnung der Werte deutlich: «Ich will die Einheit nicht anders als mit Freiheit, und will lieber Freiheit ohne Einheit als Einheit ohne Freiheit. Ich will keine Einheit unter den Flügeln des preußischen oder des österreichischen Adlers; ich will keine unter einer etwa noch zu stärkenden Machtvollkommenheit des so wie gegenwärtig organisierten Bundestages, und will auch keine in Form einer allgemeinen deutschen Republik, weil der Weg, zu einer solchen zu gelangen, schauerlich und der Erfolg oder die Frucht der Erreichung höchst ungewisser Eigenschaft erscheint … Ich will also keine in äußeren Formen scharf ausgeprägte Einheit Deutschlands. Ein Staatenbund ist, laut dem Zeugnis der Geschichte, zur Bewährung der Freiheit geeigneter als die ungeteilte Masse eines großen Reiches.»
Die Regierungen des Deutschen Bundes wurden durch Hambach noch weit mehr aufgeschreckt als die gemäßigten Liberalen. Ende Juni 1832, vier Wochen nach dem Fest, beschloß der Bundestag auf Antrag Österreichs und Preußens eine verschärfte Auslegung der Karlsbader Beschlüsse, die sogenannten «Sechs Artikel». Als im April 1832 der «Frankfurter Wachensturm», ein putschartiges Unternehmen von Burschenschaftlern, fehlschlug, ließ der Bundestag Frankfurt mit Bundestruppen belegen. Es folgten breit angelegte Ermittlungen, Gerichtsverfahren und Urteile, die sehr viel strenger ausfielen als die gegen einige der Hauptbeteiligten des Hambacher Festes. Metternich wähnte hinter den Frankfurter wie den Hambacher Ereignissen eine «allgemeine Umwälzungspartei Europas» am Werk. Die sollte sich um diese Zeit tatsächlich herausformen. In Deutschland aber war sie 1832/33 noch nicht aktiv.[ 76 ]
Ein Echo auf die Julirevolution gab es auch jenseits der Pyrenäen. Nicht nur König Ferdinand VII. und die Royalisten, sondern auch die gemäßigten Liberalen waren beunruhigt, woraus sich eine gewisse Annäherung beider Seiten ergab: In den letzten Regierungsjahren des Königs hatte das aufgeklärte Beamtentum das Sagen. Als Ferdinand im September 1833 starb, war die Frage der Thronfolge noch nicht endgültig geklärt. Königin Maria Cristina übernahm die Regentschaft für ihre dreijährige Tochter Isabella; Ferdinands jüngerer Bruder Karl, der als Verbannter in Portugal lebte, bestritt aber die Rechtmäßigkeit dieser Regelung und nahm selbst als Karl V. den Königstitel an. Die Witwe Ferdinands war durchaus keine Liberale; um gegenüber den ultraroyalistischen «Karlisten» bestehen zu können, blieben ihr aber nur die gemäßigten Liberalen, die «Moderados», als Verbündete, die sich nun in «Cristinos» verwandelten. Hinter den Karlisten standen die verarmten Handwerker der größeren Städte und Kleinbauern im Baskenland, in Navarra
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