Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)
und Kosmopolitismus von 1789 ging bei Mazzini mit der Ablehnung einer revolutionären Führungsrolle Frankreichs einher: eine Position, die schon 1831 zum Bruch sowohl mit seinem zeitweiligen Weggefährten Buonarroti als auch mit der Carboneria führte. Sein Nein zu jeder Art von Materialismus und Klassenkampf machte ein Zusammengehen mit den Sozialisten aller Schattierungen unmöglich. Mazzini sah nur Gegensätze zwischen den Herrschenden, nicht aber zwischen den Völkern. Daß er damit einem Irrtum erlag, sollte er erleben, als 1848 die Revolution ausbrach, auf die er zwei Jahrzehnte lang, erst in Italien, dann im französischen und schweizerischen, schließlich seit 1836, nach einer abermaligen Ausweisung, im englischen Exil hingearbeitet hatte.[ 78 ]
Reform statt Revolution: Großbritannien 1830–1847
In Großbritannien wurde, als in Frankreich die Julirevolution ausbrach, gerade ein neues Unterhaus gewählt: ein Vorgang, der zu jener Zeit noch mehrere Wochen in Anspruch nahm. Die Londoner Zeitungen hatten die Unterdrückung der Pressefreiheit unter Polignac aufs schärfste verurteilt; entsprechend groß war die öffentliche Begeisterung über den raschen Erfolg der Pariser Erhebung. Der Triumph des französischen Liberalismus gab in England den Befürwortern eines Projekts Auftrieb, das den gesamten Wahlkampf beherrscht hatte: einer Erweiterung des Wahlrechts auf breitere Schichten der Bevölkerung und damit einer grundlegenden Erneuerung des parlamentarischen Systems.
Die treibende Kraft der Wahlrechtsreform war die Ende 1829 ins Leben gerufene «Birmingham Political Union for the Protection of Public Rights». Ihr Gründer, der Bankier Thomas Attwood, gehörte zu den «Radikalen», die ein Bündnis zwischen Mittelschichten und Arbeiterschaft schließen wollten und dies im Hinblick auf die Wahlrechtsfrage auch vorübergehend erreichten. Das überkommene Wahlsystem bevorzugte das Land gegenüber der Stadt; es beruhte teilweise auf mehr oder minder fiktiven, nahezu menschenleeren Wahlkreisen, den «rotten boroughs»; es gestattete den örtlichen Magnaten, die Wahlen unter Einsatz von Geld und Macht so zu lenken, daß der gewünschte Kandidat, häufig ein enger Verwandter, ins House of Commons entsandt werden konnte. Bei den Wahlen vom Sommer 1830 waren solche Manipulationen freilich weniger erfolgreich als zuvor: Wo immer es den Reformern gelang, populäre Bewerber ins Rennen zu schicken, hatten sie gute Chancen, die Wahl zu gewinnen.
Im neuen Unterhaus waren die Befürworter eines neuen, gerechteren Wahlrechts infolgedessen sehr viel stärker vertreten als im vorherigen. Ihr erster großer Erfolg war die Ablösung des konservativen Kabinetts Wellington, das alle Zugeständnisse in der Wahlrechtsfrage verweigerte, durch eine Regierung der Whigs unter Lord Grey im November 1830. Die Reformbill vom März 1831, an der ein junger Mitarbeiter Greys, Lord Russell, maßgeblichen Anteil hatte, verkürzte die Legislaturperiode von sieben auf fünf Jahre, beseitigte die «rotten boroughs» und verhalf den größeren Städten, darunter London, und den größeren Grafschaften zu mehr Vertretern im Unterhaus. In den städtischen Wahlbezirken erhielten Eigentümer, Pächter und Mieter, soweit sie jährlich mindestens 10 Pfund Sterling Miete zahlten, das Wahlrecht; auf dem Lande wurde der Kreis der wahlberechtigten Eigentümer geringfügig erweitert. Die Reformer zeigten sich erfreut; die Mehrheit bei der zweiten Lesung im Unterhaus am 22. März 1831 war aber wegen des massiven Widerstands der Tories denkbar knapp: Für die Reformbill stimmten 302 Abgeordnete, dagegen 301.
In Erwartung einer Niederlage bei der entscheidenden dritten Lesung entschied sich Grey für Neuwahlen. Sie brachten den Whigs im Mai 1831 den erhofften deutlichen Sieg. Das Inkrafttreten des Gesetzes war damit aber noch längst nicht gesichert. Im Unterhaus fand es zwar am 21. September eine klare Mehrheit; im Oberhaus wurde es jedoch am 8. Oktober 1831 mit 199 zu 158 Stimmen abgelehnt. Die Empörung im Lande war so groß, daß sie sich vielerorts in gewaltsamer Form entlud – in Bristol Ende Oktober bis hin zur Erstürmung des Rathauses und mehrerer Gefängnisse, die anschließend niedergebrannt wurden. Nicht wenige Beobachter wähnten England am Vorabend einer Revolution. Das Unterhaus hatte der Regierung Grey zu diesem Zeitpunkt bereits demonstrativ das Vertrauen ausgesprochen. Die Folge war, daß das Kabinett trotz der Niederlage im Oberhaus im
Weitere Kostenlose Bücher