Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)
einem einigenden Band aller, die sich in Europa für die Rechte der Völker einsetzten.[ 75 ]
Auch in Deutschland fand die französische Julirevolution einen starken Widerhall. Sie wirkte wie die Lösung eines Banns, der seit den Karlsbader Beschlüssen von 1819 auf dem Lande lag. Zahlreiche Städte wurden von politischen und sozialen Unruhen erschüttert, darunter Hamburg, Köln, Elberfeld, Aachen, München, Berlin und Wien. In zwei Mittelstaaten, die sich durch besondere Rückständigkeit auszeichneten, schlug der Protest gegen die bestehenden Verhältnisse 1830 in offene Revolution um: in Braunschweig, wo der Herzog, und in Sachsen, wo der König zugunsten eines anderen Mitgliedes des Herrscherhauses auf den Thron verzichten mußte. Unruhen gab es auch in Kurhessen und Hannover, wo die Regierungen ausgewechselt wurden. In allen vier Staaten traten Repräsentativverfassungen in Kraft, was im Fall Kurhessens den Auftakt zu einem mehrjährigen Verfassungskonflikt bildete. In Südwestdeutschland begann nach der Julirevolution die Zeit des Kammerliberalismus. Nirgendwo konnte er sich in einem solchen Maß durchsetzen, wie im Großherzogtum Baden, wo die Liberalen seit dem Frühjahr 1831 die Kammer beherrschten.
Mit der französischen Julirevolution von 1830 trat Deutschland in die Zeit des Vormärz ein: eine Bezeichnung, die sich natürlich erst nach den Märzrevolutionen von 1848 einbürgern konnte. Wollte man das liberale Programm der 18 Jahre zwischen den beiden Revolutionen auf eine knappe Formel bringen, so würde sie «Freiheit und Einheit» lauten. Um die Freiheit ging es den badischen Liberalen, als sie sich im Dezember 1831 gegen das Zensursystem von Karlsbad auflehnten und der Regierung ein fortschrittliches Pressegesetz abnötigten, das dem Bundesrecht widersprach und infolgedessen einige Monate später, im Juli 1832, auf Verlangen des Bundestags vom Großherzog für unwirksam erklärt wurde.
Auf die deutsche Einheit zielte ein Antrag, den der eigentliche Vater des Pressegesetzes, der Freiburger Staatsrechtslehrer Theodor Welcker, zusammen mit Carl von Rotteck, Herausgeber des weitverbreiteten «Staatslexikons», im Oktober 1831 im badischen Landtag einbrachte. In dieser «Motion» forderte der liberale Abgeordnete die Regierung im Namen des deutschen Volkes und des deutschen Liberalismus auf, sich für eine parlamentarische Vertretung der Nation einzusetzen: Um das Ziel einer «organischen Entwicklung des Deutschen Bundes zur bestmöglichen Förderung deutscher Nationaleinheit und deutscher staatsbürgerlicher Freiheit» zu erreichen, sollte neben den Gesandtenkongreß des Bundestags ein gewähltes «Volkshaus» treten.
Rotteck und Welcker waren gemäßigte Liberale. Links von ihnen standen Demokraten wie die beiden politischen Publizisten Philipp Jacob Siebenpfeiffer aus dem badischen Lahr und Johann Georg August Wirth aus dem fränkischen Hof, die im Januar 1832 im pfälzischen Zweibrücken den Deutschen Preß- und Vaterlandsverein gründeten. Anders als die Liberalen im engeren Sinn wollten die Demokraten Freiheit und Einheit nicht durch Verständigung mit den Fürsten und eine Reform der Bundesverfassung erreichen, sondern durch eine Volksbewegung.
Daß sie diese von der bayerischen Pfalz aus in Gang setzen wollten, hatte seine guten Gründe. Der einzelstaatliche Partikularismus war hier schwächer ausgeprägt als sonst im Südwesten Deutschlands, und das lag daran, daß sich unter den Pfälzern bisher kaum gefühlsmäßige Bindungen an die hier 1815 erneut zur Herrschaft gelangten Wittelsbacher entwickelt hatten und die Erinnerung an die bürgerlichen Freiheiten der «Franzosenzeit» noch stark war. Als König Ludwig I. von Bayern im Dezember 1831 den erst ein Jahr zuvor gewählten, überaus selbstbewußten Landtag auflöste, war der Protest nirgendwo so stark wie in der linksrheinischen Pfalz. Die Gründung des Preßvereins, eines fast schon parteiähnlichen Zusammenschlusses von Gleichgesinnten, der sich rasch über die Pfalz hinaus ausdehnte, war die erste organisatorische Frucht der Empörung. Die zweite war die größte Kundgebung deutscher Freiheits- und Vaterlandsfreunde, die es je gegeben hatte: das von Siebenpfeiffer, Wirth und anderen einberufene Hambacher Fest Ende Mai 1832.
Am «Allerdeutschenfest» in der Ruine des Schlosses zu Hambach nahmen 20.000 bis 30.000 Menschen teil, unter ihnen Studenten, Handwerker und Winzer, vorwiegend aus Südwestdeutschland und vor allem aus der Pfalz
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