Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)
Maßnahmen zur Ausführung des Waffenstillstands einzustellen, also den Bundeskrieg gegen Dänemark fortzusetzen. Die unmittelbare Folge war der Rücktritt des Reichsministeriums Leiningen. Die Bildung eines Nachfolgekabinetts, gestützt auf die Mehrheit vom 5. September, erwies sich als unmöglich, weil sich die Linken, die dem Antrag Dahlmanns geschlossen zugestimmt hatten, und die gemäßigten Liberalen nicht auf ein gemeinsames Regierungsprogramm verständigen konnten. Aber auch wenn die Gegner des Waffenstillstands sich in einer Koalitionsregierung zusammengefunden hätten, wären sie nicht in der Lage gewesen, Preußen zur Fortführung des Krieges zu zwingen. Nach einer leidenschaftlichen Debatte lenkte die Paulskirche am 16. September ein. Mit 257 zu 236 Stimmen beschloß sie, den Waffenstillstand nicht weiter zu behindern. Neuer Präsident des Reichsministeriums wurde der bisherige Innenminister, der Österreicher Anton von Schmerling.
Die Selbstkorrektur der Nationalversammlung war aus Sicht der Mehrheit unvermeidlich. Hätte die Paulskirche den Beschluß vom 5. September nicht aufgehoben, wären die deutschen Regierungen gezwungen gewesen, mit ihr zu brechen. Denn das zu tun, was das Parlament forderte, hätte einen europäischen Krieg bedeutet, zu dem weder Preußen noch irgendeine andere deutsche Regierung bereit war. Der Preis für den Widerruf des ursprünglichen Beschlusses war hoch. Die nationale Empörung richtete sich nun gegen die deutsche Nationalversammlung. In Frankfurt brach am 17. September ein Aufstand aus, in dessen Verlauf zwei konservative Abgeordnete, die für den Vertrag von Malmö gestimmt hatten, Fürst Felix Lichnowsky und General Hans von Auerswald, vom Mob ermordet wurden. Daß der Anführer des Haufens, aus dem heraus das Verbrechen begangen wurde, eine rote Fahne mit sich trug, wirkte alarmierend: Die Furcht, daß es auch in Deutschland zu einem proletarischen Umsturzversuch kommen könne, erfaßte große Teile der Öffentlichkeit.
Rote Fahnen wurden auch beim zweiten badischen Aufstand gezeigt, der am 21. September begann, als Heckers Mitstreiter Gustav von Struve, von Basel aus kommend, den Rhein überquerte und in Lörrach die deutsche Republik ausrief. Einer der aktiven Teilnehmer war ein späterer Führer der deutschen Sozialdemokratie: Wilhelm Liebknecht. Nach vier Tagen war die Erhebung beendet: Badische Truppen schlugen die Aufständischen bei Staufen. Am gleichen Tag, dem 25. September, schien die neue revolutionäre Welle auch die Stadt zu erfassen, in der seit dem 1. Juni Karl Marx, aus dem Exil zurückgekehrt, die «Neue Rheinische Zeitung» redigierte und wo der Bund der Kommunisten mehr Anhänger hatte als irgendwo sonst in Deutschland. Auf das Gerücht hin, preußisches Militär werde in der Domstadt einrücken, wurden in Köln Barrikaden gebaut, auf denen eine Nacht lang rote Fahnen wehten. Doch da keine Soldaten erschienen, zogen sich die Verteidiger am folgenden Tag aus ihren Stellungen zurück. Im Zeichen des Ausnahmezustands, der nach Wiederherstellung der Ordnung verhängt wurde, erging ein zeitweiliges Verbot der «Neuen Rheinischen Zeitung».
Eine Chance, zum Vorort der roten Revolution zu werden, hatte Köln freilich ebensowenig wie Frankfurt: Die deutschen Arbeiter setzten 1848 in ihrer großen Mehrheit auf soziale Reformen im Rahmen der bestehenden Ordnung und nicht auf eine radikale Umwälzung im Sinne von Marx. Was die meisten wollten, kam in den Forderungen des von Anhängern Stephan Borns einberufenen Berliner Arbeiterkongresses vom 23. August bis 3. September 1848 und der aus ihm hervorgegangenen «Arbeiterverbrüderung» zum Ausdruck: Die Anhänger Borns warben für die Selbsthilfe der Arbeiter in Form gewerkschaftlichen Zusammenschlusses und ersuchten die Nationalversammlung in einer Petition um die Anerkennung der Arbeiterorganisationen durch die Reichsverfassung.
Von einem nachhaltigen Linksruck konnte in Deutschland im Frühherbst 1848 keine Rede sein. Eher wird man mit Blick auf die Zeit nach den Frankfurter Morden vom 17. September, ja in Ansätzen schon seit der Pariser Junischlacht von einer Bewegung in der Umkehrrichtung sprechen müssen: Die Angst vor der Anarchie verstärkte die Neigung, sich an die überkommene Ordnung anzulehnen. Ein bezeichnendes Ereignis war der Allgemeine Handwerker- und Gewerbekongreß zu Frankfurt am Main im Juli, der sich gegen die Republik, gegen die Gewerbefreiheit, gegen Sozialismus und Kommunismus
Weitere Kostenlose Bücher