Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)
Preußen ein protestantisch geprägter Staat und der deutsche Liberalismus eine protestantisch geprägte Bewegung war. In den letzten Jahren der Regierungszeit Friedrich Wilhelms III. war es in Preußen zu einem heftigen Konflikt über die Kindererziehung in konfessionell gemischten Ehen gekommen: Die katholische Kirche bestand auf einer katholischen Erziehung, während nach preußischem Recht Kinder grundsätzlich in der Religion des Vaters zu erziehen waren. Nachdem Friedrich Wilhelm IV. sich den kirchlichen Forderungen zum großen Mißfallen der Liberalen weitgehend gebeugt hatte, lag es im wohlverstandenen Interesse der Katholiken, ein gutes Verhältnis zum preußischen Staat zu pflegen, ohne den Liberalismus allzu sehr herauszufordern. Der Liberalismus hatte im evangelischen Deutschland einen sehr viel stärkeren Rückhalt als im katholischen; Protestanten, die der liberalen Sache zuneigten, hatten sich von den politischen Vorstellungen ihrer Kirche bereits weitgehend gelöst. Eine evangelische Entsprechung zu den «Piusvereinen» konnte es daher nicht geben: Jeder Versuch in dieser Richtung wäre am politischen Pluralismus innerhalb des deutschen Protestantismus gescheitert.
Für die deutsche Revolution bedeutete der September 1848 einen Wendepunkt. Die Paulskirche verlor durch den Widerruf ihres Nein zum Waffenstillstand von Malmö an öffentlichem Ansehen. Die anschließende gewaltsame Revolte der außerparlamentarischen Linken führte zur weitgehenden Isolierung der entschiedenen parlamentarischen Linken. Davon war die am weitesten links stehende Fraktion, der «Donnersberg» um den einstigen Junghegelianer Arnold Ruge und den Zoologen Karl Vogt, noch stärker betroffen als die etwas moderatere Fraktion «Deutsches Haus» um den Leipziger Buchhändler Robert Blum. Die gemäßigten Liberalen mußten einsehen, daß ihr Zusammengehen mit der Linken beim Votum gegen den Waffenstillstand in ein Debakel geführt hatte. Infolge dieser Erfahrung rückte die gemäßigte Mitte des Liberalismus nach rechts und beteiligte sich damit an einer Entwicklung, die sich um dieselbe Zeit in der deutschen Gesellschaft insgesamt vollzog.
Je deutlicher die deutsche Nationalversammlung sich nach rechts bewegte, desto schärfer trat der Gegensatz zwischen ihr und der preußischen Nationalversammlung zutage, in der die Linke sehr viel stärker vertreten war. Unter Führung von Johann Jacoby, einem ostpreußischen, und Benedikt Waldeck, einem westfälischen Demokraten, hatte sich die Linke des Berliner Parlaments bereits im Juli gegen die Wahl eines Reichsverwesers verwahrt, der der deutschen Nationalversammlung nicht verantwortlich war und zudem die Gefahr eines künftigen habsburgischen Erbkaisertums zu verkörpern schien. Aus ebendiesem Grund waren die Proteste aus der preußischen Nationalversammlung auch nur schwach, als die Berliner Regierung sich kurz danach weigerte, preußische Truppen, wie vom Reichskriegsminister angeordnet, vor dem Reichsverweser huldigen zu lassen.
Als die Zentralgewalt nach den Septembermorden Maßnahmen ergriff, um die Abgeordneten besser vor Beleidigungen zu schützen, und in diesem Zusammenhang die Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit in Frankfurt und Umgebung einschränkte, gab das der preußischen Linken Anlaß zu dem Vorwurf, das Reichsministerium falle damit in die Unterdrückungspolitik des Deutschen Bundes zurück. Am 24. Oktober stellte Waldeck in der preußischen Nationalversammlung den Antrag, Erlasse der Zentralgewalt, die Angelegenheiten der einzelnen Staaten betrafen, erst nach Genehmigung durch deren Volksvertretung in Kraft zu setzen. Am Fehlen von nur einer Stimme scheiterte ein Geschäftsordnungsantrag, den Antrag Waldecks als «dringlich» zu erklären, so daß er auch ohne vorherige Ausschußberatungen zur Abstimmung hätte gestellt werden können.
Daß die preußische Linke der deutschen Nationalversammlung und der Zentralgewalt gerade im Oktober 1848 mit soviel Feindseligkeit begegnete, hatte einen weiteren aktuellen Grund: Regierung und Parlament in Frankfurt taten nur wenig, um dem Vormarsch der Gegenrevolution in Österreich entgegenzutreten. Der Wendepunkt in der Geschichte der österreichischen Revolution war der 19. September: An diesem Tag lehnte es der im Juli gewählte Reichstag auf Betreiben seiner überwiegend konservativen tschechischen Abgeordneten ab, eine ungarische Delegation anzuhören. Der Reichstag stellte sich damit auf die Seite der Regierung, die sich
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